Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

25.10.2016

"Etwa 6.000 Mädchen sind hierzulande von einer Genitalbeschneidung bedroht."

Im Gespräch mit Jawahir Cumar von stop mutilation e.V.

Weibliche Genitalbeschneidung: eine Tradition, bei der die Genitalien von Mädchen verletzt und teilweise oder vollständig entfernt werden. Viele Mädchen kommen dabei ums Leben, viele leiden ihr Leben lang unter den körperlichen und psychischen Folgen. Trotzdem lassen Jahr für Jahr Millionen Eltern dieses blutige Ritual bei ihren Töchtern vornehmen. Ein Thema, das auch in Deutschland an Relevanz gewinnt. Jawahir Cumar ist die Gründerin und Geschäftsführerin des Vereins stop mutilation. Im Interview berichtet die gebürtige Somalierin von ihrem Kampf gegen die weibliche Genitalbeschneidung in Deutschland und Afrika.

Warum setzen Sie sich gegen weibliche Genitalbeschneidung ein – was sind die körperlichen und psychischen Folgen für betroffene Mädchen und Frauen?

Der Eingriff kann zum Tod führen. Weitere körperliche Folgen können Schmerzen, Blutungen, Wundinfektionen, Menstruationsbeschwerden, Komplikationen während der Schwangerschaft und Entbindung, Unfruchtbarkeit und Inkontinenz sein. Häufig ist die Sexualität beeinträchtigt, die Frauen haben Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und ein eingeschränktes Lustempfinden. Viele Frauen leiden auch unter psychischen Folgen wie Depressionen, Essstörungen, Schlafstörungen und Konzentrationsstörungen.

Warum lassen Familien ihre Töchter beschneiden?

Weibliche Genitalbeschneidung ist eine alte Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben und aufrechterhalten wird. Oft gilt sie als Voraussetzung dafür, dass Frauen einen Mann finden und heiraten können. Durch die Beschneidung soll die Sexualität der Frau kontrolliert und ihre Lust eingeschränkt werden. Dadurch sollen die Jungfräulichkeit bis zur Ehe und die Treue als Ehefrau garantiert werden. Oft ist die Beschneidung auch ein Initiationsritual, mit dem der Übergang vom Mädchen zur Frau begangen wird – häufig verbunden mit einem Fest für die Mädchen. Bei einigen Ethnien gelten die äußeren weiblichen Genitalien als schmutzig und hässlich. Viele Menschen glauben fälschlicherweise auch, ihre Religion verlange die Genitalbeschneidung von Mädchen und Frauen. Es ist dabei aber wichtig zu verstehen, dass auch Mütter, die ihre Töchter beschneiden lassen, ihre Kinder lieben und das Beste für sie wollen. In ihrer Kultur ist die Beschneidung eine Voraussetzung, in der Gesellschaft akzeptiert zu werden.

Aber es sind ja auch Frauen in der Bundesrepublik betroffen.

Das stimmt. Viele Familien halten auch hier an ihrer Tradition fest. Weil es in Deutschland verboten ist, lassen die Familien die Beschneidung in den Ferien im Herkunftsland vornehmen.

Ihr Verein heißt stop mutilation – was unternehmen Sie in Deutschland gegen weibliche Genitalbeschneidung?

Unsere Beratungsstelle in Düsseldorf berät und unterstützt betroffene Frauen bei gesundheitlichen, kulturellen und rechtlichen Problemen. Außerdem machen unsere Beraterinnen in Düsseldorf Hausbesuche bei Familien und begleiten diese intensiv. Dadurch gelingt es uns immer wieder, Eltern zu überzeugen, ihre Töchter nicht beschneiden zu lassen. Mit Fachtagungen informieren wir bestimmte Berufsgruppen zum Thema weibliche Genitalbeschneidung, die zur Prävention und zum Schutz von Mädchen beitragen können.

Hat sich Ihre Arbeit vor dem Hintergrund der Flüchtlingsbewegung verändert? Welche Rolle spielt das Thema in diesem Kontext?

Durch die aktuelle Flüchtlingsbewegung kommen mehr Menschen aus Ländern, in denen die weibliche Genitalbeschneidung praktiziert wird, nach Deutschland. Das merken wir auch in unserer Beratungsstelle. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Fachkräfte, Ehrenamtliche und Behörden, die sich um Flüchtlinge kümmern, nichts oder nur wenig über das Thema weibliche Genitalbeschneidung wissen. Deshalb haben wir im September für diese Zielgruppen eine Fachtagung durchgeführt.

Was sind die langfristigen Ziele Ihrer Arbeit?

Langfristiges Ziel unserer Arbeit ist natürlich, möglichst viele Menschen zu überzeugen, ihre Töchter nicht beschneiden zu lassen. Betroffene Frauen möchten wir unterstützen und ihre medizinische Versorgung verbessern. Mit Blick in die Gesellschaft ist es unser Ziel, Fachkräfte und Behörden zu informieren und zu sensibilisieren und die Medien und Öffentlichkeit auf das Thema aufmerksam zu machen.

Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" berät auch zum Thema weibliche Genitalbeschneidung. Wie läuft die Zusammenarbeit?

Da Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" ergänzt die bestehenden Angebote, weil sich die Frauen telefonisch und anonym an das Hilfetelefon wenden können und es rund um die Uhr erreichbar ist. Es leitet bei Bedarf auch Frauen an uns weiter: In diesem Jahr wurden zum Beispiel zwei Anrufe vom Hilfetelefon an unsere Beratungsstelle weitergeleitet.

Jawahir Cumar ist die Gründerin und Geschäftsführerin des Vereins stop mutilation und selbst Beraterin in der Beratungsstelle. Für ihr Engagement gegen die weibliche Genitalbeschneidung wurde sie 2011 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

stop mutilation e. V. engagiert sich seit 1996 gegen die Beschneidung von Mädchen in Deutschland und Somalia. Der Verein leitet die einzige Beratungsstelle für betroffene Frauen und Mädchen in Nordrhein-Westfalen. Für bestimmte Berufsgruppen wie pädagogische und medizinische Fachkräfte, die Polizei, Juristinnen und Juristen, Betreuerinnen und Betreuer von Flüchtlingen sowie Behörden führt stop mutilation Fachtagungen durch und erstellt Leitfäden. Mit Vorträgen, zum Beispiel in Schulen, klärt der Verein über das Thema weibliche Genitalbeschneidung auf.

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