Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

05.05.2020

Anderen helfen, sich selbst schützen – wer traumatisierte Menschen berät, muss besonders auf Selbstfürsorge achten

Seit sieben Jahren bietet das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" Ratsuchenden, die von Gewalt betroffen sind, Unterstützung. Sie werden ermutigt, über das Erlebte zu sprechen und Wege zu finden, wie sie die Gewalt hinter sich lassen können. Immer mehr Frauen bringen den Mut auf, sich anderen anzuvertrauen. So stieg die Zahl der Beratungskontakte im vergangenen Jahr erneut an, um zwölf Prozent gegenüber 2018. Der aktuelle Jahresbericht 2019 des Hilfetelefons verzeichnet rund 45.000 Beratungskontakte. Hinter den Zahlen stehen viele persönliche Geschichten und individuelle Erfahrungen. Die Erlebnisse, von denen die betroffenen Frauen berichten, haben sie oft traumatisiert. Die damit einhergehenden Auswirkungen stellen auch die Beraterinnen vor große Herausforderungen. Das Thema Traumata und die Frage, wie mit diesen umgegangen wird, steht deshalb im Mittelpunkt des diesjährigen Jahresberichts.

Ein Trauma kann durch große Katastrophen aber auch individuelle Erlebnisse ausgelöst werden

Das aus dem Griechischen kommende Wort Trauma bedeutet "Verletzung". Damit kann eine körperliche oder psychische Verletzung gemeint sein. Ein psychisches Trauma wird durch eine bedrohliche Situation verursacht, die Angst und das Gefühl von Hilflosigkeit auslöst. Die Folgen spüren die Betroffenen auch dann noch, wenn die Situation längst vergangen ist. Nach dem ersten Weltkrieg litten tausende Veteranen, die Kriegshandlungen erlebt hatten, unter schweren motorischen Störungen. Die "Kriegszitterer" wurden als Feiglinge verunglimpft.

Heute würde die Medizin bei ihnen eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizieren. Diese hat nichts mit Feigheit oder psychischer Labilität zu tun. Auch psychisch gesunde Menschen können eine derartige Störung entwickeln. Nicht nur Kriege und Katastrophen, auch individuelle Erlebnisse lösen Traumata aus: zum Beispiel Unfälle, Gewalterfahrungen, Vergewaltigung. Die Folgeerscheinungen sind bei jedem Menschen anders. Viele leiden unter Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche und Angstzuständen, die sie immer wieder plagen. Auch viele andere Symptome können hinzukommen wie etwa Bauch-, Kopf- oder Muskelschmerzen, Depressionen, Magersucht oder Suchtmittelabhängigkeit.

Das Angebot des Hilfetelefons: Zuhören ohne Vorbedingungen

Insbesondere bei sexueller und häuslicher Gewalt fällt es Betroffenen schwer, über das Erlebte zu reden – manchmal gerade mit engen Freunden oder in der Familie. Beim Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" können sich betroffene Frauen völlig anonym und ohne Vorbedingungen melden, um auszusprechen, was ihnen widerfahren ist. Das können einmalige oder auch multiple traumatische Erfahrungen sein. Die Erlebnisse können gerade geschehen sein oder aus der Kindheit stammen.

Anfangs geht es darum, zunächst einfach zuzuhören und die Anruferin ernst zu nehmen. Gegen Ende wird häufig gemeinsam überlegt, welche Fachberatung vor Ort weiterhelfen könnte. Doch es gibt auch besonders herausfordernde Fälle. Wie ein im Jahresbericht beschriebenes Beispiel zeigt: Eine wutentbrannte Frau ruft am späten Abend an, schildert gewaltvolle Szenen aus ihrer Kindheit und spricht von "unvorstellbarem Grauen", das sie erlebt habe. Sie ist verärgert, als die Beraterin sie unterbricht, weil eine telefonische Erstberatung nicht der Rahmen sei, um traumatische Erlebnisse detailliert aufzuarbeiten. "Denn auch bei mir erzeugen diese Schilderungen äußerst unangenehme Bilder", so die Beraterin des Hilfetelefons. Am Ende des Telefonats spricht die Beraterin über die Möglichkeit, dass die Anruferin am nächsten Tag die Psychiaterin aufsuchen könne, bei der sie bereits in Behandlung ist.

Die Hilflosigkeit führt bei einigen Betroffenen zu Aggressivität

Mit Folgen und Symptomen traumatischer Erfahrungen sind die Beraterinnen des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen" täglich konfrontiert. Dabei haben sie es mit sehr unterschiedlichen Emotionen der Ratsuchenden zu tun. Einige haben das Gefühl, eine Last zu tragen, andere sprechen von Scham und Schuldgefühlen, wieder andere spüren in sich undifferenzierte Wut. Nicht selten führt das Gefühl eigener Hilflosigkeit zu Aggressivität, die auch die Beraterinnen zu spüren bekommen.

Wütende Anruferinnen erleben die Beraterinnen oft spät abends oder an den Wochenenden. Die Beraterin bemüht sich zunächst eine Atmosphäre herzustellen, in der ein Gespräch möglich ist. Gemeinsam mit der Ratsuchenden versucht sie dann, deren Bedürfnisse besser einzugrenzen. Doch das gelingt nicht immer. Manchmal legt die Ratsuchende in ihrem Ärger auf oder steigert ihre Aggressivität bis hin zu sexuellen oder rassistischen Beleidigungen. Dann kann es auch für eine gut geschulte, empathische Beraterin notwendig werden, das Gespräch zu beenden. Denn auch die Beraterinnen müssen sich schützen.

Wichtig sind Schulungen, Supervisionen und Selbstfürsorge

Das häufige Erleben belastender Beratungssituationen kann eine "sekundäre Traumastörung" zur Folge haben: Therapeutisch tätige Personen oder Beraterinnen von traumatisierten Menschen entwickeln im Umgang mit ihnen eigene Symptome wie etwa Schlafstörungen, ohne selbst ein traumatisierendes Ereignis erlebt zu haben. Andere Menschen reagieren eher mit einer Abstumpfung der eigenen Gefühlswelt als Selbstschutz. Diesen Belastungen zu begegnen, stellt in der täglichen Arbeit eine Herausforderung sowohl für die Beraterinnen als auch für das Leitungsteam des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen" dar. Daher spielt Selbstfürsorge als Haltung in der Arbeit beim Hilfetelefon eine zentrale Rolle. Im Umgang mit traumatisierten Personen muss die Beraterin ihre eigene Belastung wahrnehmen.

Eine problematische Beratung kann jederzeit mit einer Kollegin besprochen werden. Gezielte Schulungen ermutigen die Beraterin, ihre Haltung stetig zu reflektieren und auch individuelle Bedarfe einzufordern. In den regelmäßig stattfindenden Dienstgruppen, im Austausch mit den methodisch geschulten Fachbereichsleiterinnen und bei Supervisionsgesprächen mit externen Fachkräften können Beraterinnen eigene Belastungen thematisieren. Die empathische Arbeitsatmosphäre und der Zusammenhalt untereinander gehören zu den wichtigsten Ressourcen, die den Beraterinnen beim Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" zur Verfügung stehen, um ihren wichtigen Auftrag zu erfüllen.

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