Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

Arbeiten ohne Angst vor Übergriffen – Das bundesweite Projekt "make it work!" richtet sich gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist in Deutschland gesetzlich verboten. Doch jeden Tag erleben Frauen, dass ein Verbot alleine nicht ausreicht, um Übergriffe zu unterbinden. "Mindestens jede vierte Frau ist am Arbeitsplatz von sexueller Belästigung betroffen!", konstatiert der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff). Mit dem Projekt "make it work! – Für einen Arbeitsplatz ohne sexuelle Diskriminierung, Belästigung und Gewalt!" wollen die Beteiligten dagegen vorgehen.

Das Phänomen, dass Frauen in ihrem Arbeitsumfeld sexuellen Übergriffen ausgesetzt sind, ist alles andere als neu. Doch durch Initiativen wie #meToo und #aufschrei in den sozialen Medien wird das Thema seit einiger Zeit wieder intensiv diskutiert. Der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) will sich die gestiegene Aufmerksamkeit zunutze machen und den Umbruch zu einer gewalt- und diskriminierungsfreien Arbeitskultur mitgestalten. "In der Vergangenheit wurden immer wieder Einzelfälle von Sexismus am Arbeitsplatz skandalisiert", sagt Larissa Hassoun von "make it work!". "Die Empörung legt sich aber schnell wieder. Wir wollen langfristig etwas ändern. Uns geht es darum, in Unternehmen Strukturen aufzubauen, die dabei helfen, eine Präventionskultur zu entwickeln."

Das Projekt soll nachhaltig wirken

Das Anfang des Jahres gestartete und auf vier Jahre angelegte Projekt wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert. Eines der vorrangigen Ziele ist es, Beschäftigte, Personalverantwortliche sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber für das Thema zu sensibilisieren. "Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) haben wir seit 2006 den rechtlichen Rahmen, um sexuelle Diskriminierung und Belästigung zu ahnden", sagt Larissa Hassoun. "Doch in vielen Betrieben sind wir noch weit davon entfernt, dass Gleichbehandlung auch gelebt wird." Im Rahmen des Projekts will der Frauenverband mit intensiver Öffentlichkeitsarbeit die Schutzrechte in Bezug auf sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz bekannter machen. Dazu werden Flyer und andere Materialien erstellt und verteilt. Fachkräfte, Personalverantwortliche und Führungskräfte werden in Workshops darin geschult, wie Strukturen geschaffen werden können, die eine diskriminierungsfreie Unternehmenskultur begünstigen.

Ein weiteres Ziel von "make it work!" ist es, lokale und bundesweite Netzwerke gegen sexuelle Diskriminierung, Belästigung oder Gewalt am Arbeitsplatz aufzubauen oder bestehende zu erweitern. Dabei will der bff unter anderem Gewerkschaften und die Verbände von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern einbeziehen.

In zwei Modellregionen – Bielefeld und Rheinland-Pfalz – hat die Projektarbeit bereits begonnen. Aus den dortigen Erfahrungen sollen später Handlungsempfehlungen für ganz Deutschland abgeleitet werden. In Rheinland-Pfalz ist die Kampagne "Lautstark gegen Sexismus" Partnerin des Projekts. Koordinatorin Annette Diehl beschreibt, warum das AGG im Alltag nicht greift. "Von sexuellen Übergriffen Betroffene wissen oft nicht, wohin sie sich im Betrieb wenden sollen", sagt sie. 

In vielen Unternehmen fehlen Anlaufstellen für Betroffene

Nicht überall gäbe es Gleichstellungsbeauftragte und Betriebsräte seien nicht immer eine geeignete Anlaufstelle, erklärt Annette Diehl. "Wenn Frauen nicht an eine kompetente Stelle geraten, müssen sie oft erleben, dass der Vorfall verharmlost oder ihnen selbst eine Mitschuld gegeben wird." Nur wenige Betroffene wüssten zum Beispiel, dass es – neben regionalen Anlaufstellen – mit dem Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" ein kostenloses, bundesweites, rund um die Uhr erreichbares Hilfsangebot gibt, das auch zu Übergriffen am Arbeitsplatz berät.

Annette Diehl ist langjährige Beraterin beim Frauennotruf Mainz und weiß, dass sexuelle Belästigung und Gewalt in allen Unternehmensformen vorkommen: in Großkonzernen, Handwerksbetrieben, Behörden oder Start-ups. Auch sind alle Branchen betroffen. Ob sexuelle Diskriminierung oder Gewalt stattfinde, habe viel mehr mit der Unternehmenskultur zu tun. "Von Übergriffen wird uns häufiger aus Unternehmen berichtet, in denen wenig grenzachtendes Verhalten zu finden ist. Da, wo sich alle duzen, wo öfter mal bis in die Nacht gearbeitet wird, wo man sich zur Begrüßung kameradschaftlich umarmt und wo es keine klare Führungsverantwortung gibt."

Wichtig ist, dass sich die Unternehmensführung klar positioniert

Andererseits kennt Annette Diehl auch Unternehmen, in denen die Gleichbehandlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen hohen Stellenwert hat. Dort sind auch weniger Übergriffe zu beobachten. "Wichtig ist, dass sich die Unternehmensführung mit dem Thema befasst und ganz klar macht: Das tolerieren wir nicht", sagt Diehl. "Zudem sind klare Strukturen wichtig. Für Betroffene muss es eine geschulte Beschwerdestelle geben. Und alle Beschäftigten müssen wissen, dass sie bestimmte Grenzen nicht überschreiten dürfen. Das kann zum Beispiel in der Dienstvereinbarung stehen, die alle unterschreiben müssen." Derartige Strukturen würden sich auch auf andere Beschäftigtengruppen positiv auswirken, die häufig Diskriminierung ausgesetzt seien, etwa auf Menschen mit Behinderung.

In der zweiten "make it work!"-Modellregion, Bielefeld, steht ein besonderer Arbeitsbereich im Mittelpunkt: Es geht um die Pflege. Ein Beruf, bei dem Körperkontakt unerlässlich ist und bei dem Situationen entstehen können, die körperliche Übergriffe begünstigen. "Diese können von den Pflegenden ausgehen, aber auch von den Klienten. Oft sind Auszubildende mit noch wenig Berufserfahrung damit konfrontiert", sagt Larissa Hassoun vom bff. "Hier stellt sich zum Beispiel die Frage, wie das Thema stärker als bisher in die Ausbildung mit einbezogen werden kann."

2022 ist ein internationaler Kongress geplant

Ein wichtiger Teil des Projekts "make it work!" ist es, Best Practice Beispiele zu finden, zu sammeln, zu diskutieren und zu teilen. "Dazu dient unter anderem ein großer, internationaler Kongress, den wir 2022 veranstalten", berichtet Larissa Hassoun. Doch bis dahin wollen die Projektbeteiligten noch viele gute Beispiele finden. "Auf unseren Aufruf, sich an 'make it work!' zu beteiligen, haben wir schon jetzt sehr viele Rückmeldungen aus den unterschiedlichsten Bereichen bekommen. Und wir freuen uns auf weitere Anregungen, zum Beispiel bei unserer nächsten Netzwerkveranstaltung am 11. November."

Informationen über das Projekt "make it work!" unter:
www.frauen-gegen-gewalt.de
Fragen an die Projektverantwortlichen:
makeitwork[at]bv-bff.de

Foto: ©adobestock

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