Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

15.03.2021

Bewegte Zeiten – Frauenhäuser und das Corona-Virus

Zwei Dachverbände kümmern sich bundesweit um rund 360 Frauenhäuser, in denen rund 6.400 Betten zur Verfügung stehen. Etwa zwei Drittel der Einrichtungen sind in Berlin bei der Frauenhauskoordinierung e. V. (FHK) organisiert, das andere Drittel bei der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) in Mannheim. Elisabeth Oberthür, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit der FHK und Sylvia Haller, Vertreterin der ZIF sowie Beiratsmitglied des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“, gewähren Einblicke, womit sich ihre Verbände auseinandersetzen, seitdem das Corona-Virus in unser aller Leben getreten ist.

Vor welchen Herausforderungen stehen Frauenhäuser in der Covid-19-Pandemie?

„Auch wenn das Bild vom Brennglas fast schon überstrapaziert ist" beginnt Elisabeth Oberthür, "ist es dennoch geeignet, um die Situation der Frauenhäuser in der Corona-Zeit zu beschreiben." Bestehende Problemfelder, die auch zuvor schwer zu meistern waren, hätten sich mit Beginn der Pandemie verstärkt. Dazu zählten insbesondere Finanzierungs- Raum- und Personalfragen. So individuell sich die Herausforderungen der Pandemie innerhalb der gesamten Gesellschaft gestalten, so differenziert waren sie laut FHK bei den einzelnen Frauenhäusern. Es gab Einrichtungen, bei denen während des strengen Lockdowns so wenig wie noch nie los war. Kaum Anrufe und ungewohnte Stille. Andere Häuser wiederum waren stark frequentiert und wussten nicht wohin mit den vielen Anfragen.

Ein weiteres großes Feld war und ist die Digitalisierung der Frauenhäuser, schnellstmöglich sollte technisch aufgerüstet werden. Gelder wurden benötigt, Sicherheitsaspekte waren zu klären. Laut Sylvia Haller von der ZIF mussten Abläufe komplett neu gedacht werden: „Wie stellen die Häuser insgesamt die Erreichbarkeit und Aufnahme von Frauen sicher, wie sollen die individuellen Beratungen erfolgen – und wie das Homeschooling für die Kinder?“ Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat in Zusammenarbeit mit der FHK schnell reagiert und Mittel umgewidmet, sodass seitdem mehrere Millionen Euro für die Digitalisierung des Hilfesystems beantragt werden können. Viele Einrichtungen hätten dies genutzt, sodass Online-Besprechungen, -Fortbildungen und -Schulungen mittlerweile fester Bestandteil des Arbeitsalltags sind.

Stress, Sorgen und Enge

Häusliche Gewalt steigt bei wachsendem Stresspegel, finanziellen Sorgen und räumlicher Enge – darin sind sich beide Verbände einig. Wenn sich eine Frau nach einer Erstberatung durch das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ hilfesuchend an ein Frauenhaus wendet, sind allerdings dort die verordneten Quarantäne- und Abstandsregeln einzuhalten. Die Pandemie brachte in vielerlei Hinsicht deutliche Grenzen zum Vorschein: Corona-Schnelltests sind oft Mangelware, ebenso Optionen zur räumlichen Isolation in Quarantänefällen.

Viele Städte und Kommunen finanzieren daher Zimmer in leerstehenden Pensionen, die bei Bedarf als sogenannte „Quarantäne-Wohnungen“ genutzt werden können; in Berlin etwa stehen 100 Plätze in Stadthotels zur Verfügung. Erst nach Ablauf verordneter Quarantänezeiten ziehen Betroffene dann in ein Frauenhaus um. Obwohl diese Lösung auf den ersten Blick praktikabel erscheint, gibt Haller zu bedenken: „Natürlich sind wir froh über die Quarantäne-Optionen in den Städten, aber es stellt sich gleichzeitig die Frage, wie die verteilt wohnenden Frauen im Hilfesystem dann noch individuell begleitet werden können.“

Mehr öffentliches Interesse

Als positive Entwicklung benennt Oberthür das neu erwachte öffentliche und mediale Interesse an der Gewaltproblematik. Der Verband nutze diese Aufmerksamkeit bewusst zur Aufklärung: „Wir kommunizieren intensiv, wo häusliche Gewalt beginnt und welche Bedeutung der Sensibilisierung des sozialen Umfelds zukommt. Gewalt ist nie Privatsache.“ Auch die Kommunikation mit Behörden sei in der Pandemie tendenziell einfacher geworden, führt Haller aus. So könnten beispielsweise Aufenthaltsverlängerungen inzwischen ohne Präsenztermine in Ämtern telefonisch, per E-Mail und auf dem Postweg erledigt werden. „Wir begrüßen auch die schnellen und unkomplizierten Möglichkeiten durch Online-Besprechungen“, betont Haller. Die künftige Kommunikation innerhalb und zwischen Frauenhäusern, Verbänden und anderen Einrichtungen des Hilfesystems sieht sie in einer gesunden Mischung aus Präsenztreffen mit digitaler Ergänzung.

Gemeinsames Engagement

Viele Frage- und Problemstellungen werden grundsätzlich verbandsübergreifend begleitet, etwa das Thema der Schutzimpfungen gegen Corona. Hier wünschen sich sowohl die ZIF als auch die FHK eine Priorisierung der Frauenhäuser, wie von der Ständigen Impfkommission empfohlen. Beide Expertinnen betonen auch, wieviel Engagement und Idealismus die Mitarbeiterinnen in den bundesweiten Frauenhäusern Tag für Tag aufbringen und welche Ideen sie entwickeln, um der Corona-Pandemie zu trotzen.

Generell würden sich die Unterschiede in der Pandemie vor allem im individuellen Bedarf der einzelnen Einrichtungen zeigen: Manchen Häuser benötigen Quarantäne-Wohnungen, andere nicht, weil die Frauen dort in Apartments mit separatem Bad und Kochzeile leben. Während in vielen Häusern Schnelltests fehlen, arbeiten andere mit nahe gelegenen Kliniken zusammen und sind mit Corona-Testmöglichkeiten gut versorgt. Auch die Zusammenarbeit mit Schulen gestaltet sich unterschiedlich, was sich auf die Qualität des Homeschooling auswirkt. Gesellschaftliches Ziel müsse laut Haller und Oberthür sein, das Wohlergeben und die Unterstützung gewaltbetroffener Frauen und deren Kinder im Blick zu haben und ihnen zu vermitteln, dass sie nicht allein sind.

www.frauenhauskoordinierung.de/
www.autonome-frauenhaeuser-zif.de/

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