06.06.2025
“Wir wollen mit den Frauen reden, nicht über sie”
Interview mit Claudia Robbe vom Bundesweiten Koordinierungskreis gegen Menschenhandel
Sozialpädagogin Claudia Robbe ist Vorstandmitglied vom Bundesweiten Koordinierungskreis gegen Menschenhandel (KOKBundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.), dem Zusammenschluss von Fachberatungsstellen zur Bekämpfung des Menschenhandels. Im Verein für Internationale Jugendarbeit in Stuttgart (VIJ) ist sie unter anderem für die Psychosoziale Prozessbegleitung für Betroffene von Menschenhandel zuständig. Im Interview berichtet Claudia Robbe über Ihre Erfahrungen in der Beratungsarbeit und die große Herausforderung, Betroffene zu erreichen.
Frau Robbe, der KOK setzt sich gegen Menschenhandel ein. Was ist Menschenhandel und wer ist von Menschenhandel betroffen?
Claudia Robbe: Menschenhandel ist eine schwere Menschenrechtsverletzung. Es gibt unterschiedliche Formen, etwa ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, sexuelle Ausbeutung und Zwangsheirat. Menschen werden zu Straftaten gezwungen, auch zum Betteln. Nötigung, Zwang und Täuschung gehören zu den Kernelementen. Betroffen sein kann jede und jeder. In Deutschland, aber auch im Ausland. Zum Beispiel werden deutsche Frauen ins Ausland gelockt und zur Prostitution gezwungen – die sogenannte Lover-Boy-Methode funktioniert über Grenzen hinweg.
Lover-Boys erschleichen sich das Vertrauen von jungen Frauen, machen sie emotional abhängig und zwingen sie zur Prostitution?
Claudia Robbe: Richtig. Das ist eine Form des Menschenhandels und der Zwangsprostitution, die besonders perfide ist, weil sie die emotionalen Bedürfnisse junger Menschen ausnutzt. Ihnen wird Liebe vorgegaukelt. Lover-Boys tun so, als würden sie auf die Interessen der jungen Frauen eingehen: Wer gerne reist, wird ermuntert Deutschland zu verlassen und findet sich in touristischen Hochburgen wie etwa Rom in der Prostitution wieder. Eine junge Frau wurde nach Griechenland gelockt: Ihr Traum war, auf einem Selbstversorgerhof herrenlose Tiere aufzunehmen. Um den Hof zu finanzieren, wurde von ihr verlangt, sich zu prostituieren. Sie saß in der Falle – wie es auch Frauen aus Afrika oder Asien erleben, die nach Deutschland gelockt werden und in Zwangslagen geraten. Sie wissen nicht, dass sie ein Recht auf Hilfe haben, sie wissen nicht, wohin sie sich wenden können. Sprachbarrieren spielen auch eine Rolle.
Wie unterstützen Beratungsstellen in Deutschland Betroffene?
Claudia Robbe: Auf unterschiedliche Weise – je nachdem, wer sich mit welchen Sorgen oder Fragen an uns wendet. Ganz wichtig ist uns, dass wir niedrigschwellig zu erreichen sind, es soll so unkompliziert wie möglich sein, Hilfe zu erhalten. Kein Fall ist wie der andere: Manche wollen einfach schnell nach Hause und brauchen Hilfe bei der Rückreise. Andere benötigen eine sichere Unterkunft, Essen und Kleidung, ärztliche Behandlung oder psychologische Unterstützung. Oft wenden sich auch Menschen an uns, die Fragen zu ihrem Aufenthaltsrecht haben, Hilfe bei Behörden brauchen, ihren nicht gezahlten Lohn einfordern wollen oder Unterstützung während eines Gerichtsverfahrens benötigen. Die Beratungsstellen im KOKBundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel-Netzwerk wollen die Lebenssituation der Menschen verbessern und ihnen helfen, ihre Rechte durchzusetzen. In manchen Beratungsstellen arbeiten auch Peerfrauen, ehemalige Betroffene von Zwangsprostitution. Wichtig ist uns immer: Wir wollen mit den Frauen reden, nicht über sie.
Wie finden Betroffene den Weg zur Beratung?
Claudia Robbe: Das kann sehr unterschiedlich sein. Im Fall von sexueller Ausbeutung sind es auch Freier, die den Sozialarbeiterinnen in den Fachberatungsstellen über Messengerdienste Hinweise über den Aufenthalt geben, etwa in Ferienwohnungen oder Hotelzimmern. Bei der aufsuchenden Sozialarbeit geben Fachkräfte oder auch Streetworkerinnen entsprechende Adressen und Informationen weiter. In einigen Städten haben Fachberatungsstellen dafür gesorgt, dass QR-Codes mit Hinweisen zu Anlaufstellen auf Spiegeln von Modediscountern kleben.
Wo sehen Sie die größten Präventionspotenziale, um Menschenhandel und Ausbeutung zu verhindern?
Claudia Robbe: In Schulen zu gehen und darüber zu sprechen, halte ich für eine gute Idee. Dort über die Loverboy-Methode und über den neuen Trend der sogenannten “Taschengeldtreffen” zu sprechen ist sinnvoll.
Was sind Taschengeldtreffen?
Claudia Robbe: Der Begriff klingt harmlos, dabei geht es um Prostitution von Minderjährigen. Jugendliche bieten sexuelle Dienstleistungen an für einen niedrigen Betrag, meist 50 Euro. Da liegt ein hohes Gefahrenpotential: Jugendliche sind im Internet nicht geschützt, oft bekommen Eltern nicht mit, auf welchen Kanälen sie unterwegs sind. Diese Gefahren sind den Jugendlichen häufig nicht bewusst, ihnen ist nicht klar, welche psychischen und physischen Folgen solche Treffen haben können.
Wie können Betroffene von Menschenhandel insgesamt effektiv geschützt werden?
Claudia Robbe: Oft hören wir von Betroffenen: “Nie hätte ich gedacht, dass es mir passieren könnte”. Prävention ist enorm wichtig, Aufklärung muss stattfinden. Auch Sexualaufklärung – Kinder und Jugendliche sollen ein positives Gefühl für sich und ihren Körper entwickeln können. Auch wenn manchmal der Eindruck entsteht, dass das Thema Sexualität allgegenwärtig ist, fällt dennoch das Sprechen darüber nicht immer leicht. Das kann nicht in allen Elternhäusern geleistet werden, deshalb ist es wichtig, dass Aufklärung in Schulen passiert.
Aufklärung heißt aber auch, dass wir in der Beratung sehr deutlich nachfragen – etwa nach einem Arbeitsvertrag, ob es ihn gibt und wie seriös der ist, wir fragen nach, ob jemand sich seine Aufgaben selbst aussuchen kann. Und natürlich klären wir Betroffene über ihre Rechte auf. Grundsätzlich setzt sich der KOKBundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel dafür ein, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Schulungen zu den Themen Ausbeutung, Opferrechte und Opferschutz für Behörden, Polizei, Fachkräfte und Zivilgesellschaft sind eine gute Sache
Die Bundesregierung hat den Nationalen Aktionsplan zur Prävention und Bekämpfung von Menschenhandel auf den Weg gebracht. Von welchen Punkten erhofft sich der KOK eine Verbesserung der Situation?
Claudia Robbe: Wichtig ist die internationale Zusammenarbeit, ein transnationales Vorgehen, etwa in der EUEuropäische Union, denn das Phänomen Menschenhandelt ist vielschichtig. Die EUEuropäische Union-Richtlinie gegen Menschenhandel wurde überarbeitet: Zwangsheirat, Ausbeutung von Leihmutterschaft und illegale Adoption wurden als weitere Formen von Menschenhandel aufgenommen. Klar ist aber auch, dass für Prävention, Information und die Bekämpfung von Menschenhandel finanzielle Ressourcen notwendig sind. Eine sichere und angemessene Finanzierung der Unterstützungsstruktur für Betroffene von Menschenhandel ist bleibt für uns eine elementare Forderung.