11.07.2024
Kann ein ganzer Stadtteil gemeinsam Veränderungen anstoßen und unmittelbar zur Prävention und Unterstützung gewaltbetroffener Frauen beitragen? Oder ist ein solches Engagement im Quartier angesichts vielfältiger gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Herausforderungen utopisch?
Die Initiative "StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt" beweist, was möglich ist, wenn Menschen hinschauen, und realisiert vor Ort eine "konkrete Utopie": Menschen aus der Nachbarschaft zeigen Zivilcourage, Häusliche Gewalt wird zum öffentlichen Thema und soziale Netze greifen bei der Unterstützung von Betroffenen.
Das Projekt basiert auf einem von Prof. Dr. Sabine Stövesand, Professorin für Soziale Arbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, entwickelten Konzept, das 2010 in der Hansestadt erstmals umgesetzt wurde. Heute gibt es aktive StoP-Gruppen an mehr als 50 Standorten in Deutschland und Österreich.
Um Anwohnende für Partnerschaftsgewalt und deren Folgen zu sensibilisieren und die Zivilcourage im Quartier zu fördern, werden im Rahmen von StoP Strategien entwickelt, die sich eng am Gemeinwesen vor Ort orientieren. Die Umsetzung der konkreten Projekte basiert auf acht Handlungsschritten – von der Entscheidung, das Thema aufzugreifen und die Arbeit im Stadtteil anzugehen, über die Aktivierung der Menschen im Quartier bis zur kontinuierlichen Netzwerkarbeit. Grundlegende Voraussetzung für jede neue StoP-Gruppe: Das Interesse muss aus dem Stadtteil selbst kommen und es sollten im Idealfall finanzielle, personelle und räumliche Ressourcen für eine mindestens zweijährige Projektaufbauphase zur Verfügung stehen.
Dass sich diese Investition für gewaltbetroffene Frauen und das Gemeinwesen auszahlt, beweisen Erfolgsgeschichten wie sie auf der StoP-Webseite vorgestellt werden. Das Engagement setzt genau dort an, wo Unterstützung gefragt ist: Engagierte Menschen aus der Nachbarschaft leisten praktische Alltagshilfe, etwa indem zum Schutz vor dem Ex-Partner ein Türschloss ausgewechselt wird. StoP-Aktive begleiten eine von Stalking Betroffene zum Einkaufen, zum Job-Center oder zur Polizei. In Krisensituationen werden spontan private Aufenthalts- und Schlafmöglichkeiten in den eigenen vier Wänden zur Verfügung gestellt. Doch auch der regelmäßige Austausch im Rahmen eines gemeinsamen Stadtteil-Frühstücks, mehrsprachige Gesprächsangebote und die persönliche Beratung und Ermutigung durch StoP-Fachkräfte können für Betroffene ein wichtiger Schritt sein, um sich nicht länger isoliert, sondern verstanden und geschützt zu fühlen.
Im April 2024 wurde Prof. Dr. Sabine Stövesand für ihr wegweisendes Projekt mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, der höchsten Anerkennung der Bundesrepublik für herausragendes soziales und gemeinwohlorientiertes Engagement. "Ich freue mich sehr über diese Auszeichnung. Sie stärkt mir und den bei StoP engagierten Menschen – ob in Steilshoop, Wilhelmsburg, Berlin-Neukölln, Buxtehude, Dresden oder Wien – den Rücken", so Stövesand anlässlich der Verleihung in Hamburg. "Damit wird auch anerkannt, dass Gewalt gegen Frauen kein 'Frauenthema' sondern eine Gemeinschaftsaufgabe ist. Ohne demokratische, gewaltfreie Verhältnisse im sogenannten Privaten ist die Demokratisierung der Gesellschaft unabgeschlossen."
Menschen, die den Verdacht haben, dass eine Frau in ihrer Nachbarschaft Gewalt erlebt, können sich jederzeit mit den Beraterinnen des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen" austauschen und sich über Unterstützungsmöglichkeiten informieren. Das Hilfetelefon berät das soziale Umfeld Betroffener rund um die Uhr, kostenfrei und vertraulich zu Häuslicher Gewalt und zu allen Formen von Gewalt gegen Frauen – auch da, wo es (noch) kein StoP-Projekt im Stadtteil gibt.