Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

04.02.2016

Nachbarschaftliche Courage fördern – "Gewalt in der Partnerschaft ist keine Privatsache"

Eine Tür knallt. "Du machst, was ich dir sage!", hört man Herrn S. aus der Nachbarwohnung brüllen. Ein Poltern, ein erstickter Schrei. Dann Ruhe. Hinter den Wänden manchen "trauten Heims" ist Gewalt an der Tagesordnung. Jede vierte Frau berichtet, schon einmal Gewalt durch ihren Partner erlebt zu haben. Dies bleibt häufig von Nachbar/innen nicht unbemerkt. Doch viele drehen den Fernseher lauter und sehen weg. Das Hamburger Projekt "StoP - Stadtteile ohne Partnergewalt" will dies ändern. Es ermutigt Betroffene und ihr soziales Umfeld hinzusehen, darüber zu reden und etwas zu verändern. Prof. Dr. Sabine Stövesand, die Entwicklerin des Projektes, spricht im Interview über die Bedeutung und die Möglichkeiten eines aufmerksamen Umfelds.

Mit dem Projekt StoP wollen Sie das Thema häusliche Gewalt in Nachbarschaften enttabuisieren. Steht es denn schlecht um die Zivilcourage unter Nachbarinnen und Nachbarn?

Vor allem in Großstädten und Ballungszentren leben wir in immer anonymeren Verhältnissen. Oft kennen Menschen ihre Nachbarinnen und Nachbarn nicht mehr persönlich. Und wenn es dann nebenan kracht, stellt man lieber den Fernseher lauter statt einmal nachzufragen, was eigentlich los ist. Dabei liegt gerade in nachbarschaftlicher Courage eine große Chance für Frauen, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen.
 

Wie kann das gelingen?

Von häuslicher Gewalt betroffene Frauen leiden oft unter enormen Einschüchterungen. Sie fühlen sich zudem dem Ideal der heilen Familie verpflichtet und erleben Gewalt als eigenes Versagen. Dieses Gemisch aus Angst und Scham führt nicht selten dazu, dass Übergriffe im familiären Umfeld verschwiegen, manchmal sogar vertuscht werden. Ein Außenstehender kann diese Mauer des Schweigens mitunter sogar leichter durchbrechen als jemand aus der Familie oder dem Freundeskreis. Nachbarinnen und Nachbarn bekommen vieles sehr unmittelbar mit. Unser Ziel ist, dass sie ihrem Umfeld gegenüber aufmerksam sind und bei Anzeichen für Gewalt wissen, was sie tun, wie sie helfen können.
 

Aufmerksame Nachbarschaften können auch als sehr beengend empfunden werden. Viele Menschen suchen ja gerade deshalb die Anonymität der Großstadt.

Es geht nicht darum, jemanden zu überwachen, sondern Ereignisse, die man ohnehin mitbekommt, offen anzusprechen. Gibt es einen lauten Streit in der Nachbarwohnung, kann am nächsten Tag die Frage, ob alles okay ist, schon ein wichtiger Gesprächsanfang sein. Verbindet man die Ansprache dann noch mit einem Hilfsangebot oder einen Hinweis auf Anlaufstellen wie das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen", ist schon viel getan. Haben Nachbarinnen und Nachbarn das Gefühl, dass eine akute Bedrohungslage besteht, sollte aber auch situativ und entschieden reagiert werden. Das heißt: nebenan klingeln oder gleich die Polizei rufen.
 

Wie kann es gelingen, Nachbarschaften entsprechend zu sensibilisieren?

Mit dem Projekt StoP verfolgen wir in Hamburg das Ziel, einen "Klimawandel in der Stadt" in Gang zu setzen. Das bedeutet, wir wollen ein allgemeines Bewusstsein dafür schaffen, dass Gewalt in der Partnerschaft keine Privatsache ist, sondern eine Menschenrechtsverletzung. Dabei konzentrieren wir unsere Arbeit auf die Ebene einzelner Stadtteile und kooperieren dort mit sozialen Einrichtungen. ­
 

Ein "Klimawandel" ist ein hochgestecktes Ziel. Wie wollen Sie die kritische Masse erreichen?

Über diese Einrichtungen gewinnen wir Mitmacherinnen und Mitmacher aus dem Stadtteil. Sie bilden eine Nachbarschaftsgruppe und werden zu aktiven Mitgliedern unseres Projekts. Dann gehen sie z.B. regelmäßig in die Häuser und sprechen direkt mit den Bewohnerinnen und Bewohnern an der Haustür. Es gibt Stände im Einkaufszentrum und auf Stadtteilfesten mit Flyern zum Thema. Wir produzieren Sticker, die an das Auto, den Putzwagen oder ans Fenster geklebt werden können. Zudem platzieren die aktiven Nachbarinnen und Nachbarn persönliche Plakate mit ihrem Foto und Namen im Quartier. Dabei verbreiten wir immer die Botschaft: "StoP! Was tun. Was sagen." So erzielen wir einen gewissen Multiplikationseffekt.
 

Welche Inhalte vermitteln Sie noch?

Damit unsere Mitglieder andere aufklären können, müssen sie natürlich geschult werden. An dem sogenannten Küchentisch setzen wir uns gemeinsam hin und besprechen regelmäßig die aktuellen Inhalte, die wir vermitteln wollen. Dabei geht es um Ursachen von Gewalt, um Ängste und Vorurteile oder das konkrete Eingreifen in Form von Deeskalationstrainings. Anhand praktischer Beispiele und Übungen bereiten wir die Angesprochenen darauf vor, Entscheidungen zu treffen wie "gehe ich klingeln, rufe ich die Polizei an, spreche ich die Frau direkt an oder stecke ich ihr einen Flyer zu".

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