Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

11.10.2016

Interview mit Isabel Kreitz und Stefan Dinter

Wie kam die Zusammenarbeit mit dem Hilfetelefon zustande und was hat Sie letztlich überzeugt, an dem Projekt mitzuwirken?

Kreitz: Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" hat über unsere Agentin Kontakt zu uns aufgenommen. Wir fanden das Projekt – einen Comic zum Thema "Gewalt gegen Frauen"zu zeichnen – auf Anhieb spannend. Zunächst erschien mir die Umsetzung jedoch schwierig, da ich das Gefühl hatte, als nicht selbst von Gewalt betroffene Frau bei dem Thema nicht richtig mitreden zu können. Dann ist jedoch ein Freund an mich herangetreten, der von seinen Erlebnissen als Volontär bei einer Lokalzeitung erzählte. Als Assistent des Horoskope-Schreibers bekam er dort einen Brief von einer älteren Dame, die von häuslicher Gewalt durch ihren Mann berichtete. Sie führte dies auf die Sternenkonstellation zurück und suchte deshalb Rat bei einem Astrologen. Die Geschichte hat mich sehr berührt. Daraus entstand später die Idee für "Hinter Türen". Dem Hilfetelefon hat der erste Entwurf gut gefallen und wir waren uns sehr schnell einig, was in der Geschichte passieren darf und was nicht. 
Dinter: Mir hat vor allem gefallen, dass es nicht um Gewaltdarstellung, sondern um eine Sensibilisierung für das gesamte Problemfeld geht. Wir hatten außerdem die Möglichkeit, auf verschiedene Formen von Gewalt einzugehen und auch Angebote wie das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" einzubauen.
 
Wie sind Sie an das Thema "Gewalt gegen Frauen" herangegangen?

Kreitz: Wir haben uns zunächst anhand von Informationsmaterialien des Hilfetelefons an das Thema herangetastet und versucht, unter anderem mithilfe von Fallbeispielen zu verstehen, was Frauen in Gewaltsituationen erleben. Dabei haben mir auch die Gespräche mit der Leiterin des Hilfetelefons sehr geholfen. Dass im Falle von häuslicher Gewalt die Isolation durch den Ehemann oft eine wichtige Rolle spielt, war mir beispielsweise vorher nicht bewusst.
Dinter: Das Einbringen einer jungen Protagonistin – Anna Wegener – erlaubte es uns, verschiedene Gewaltsituationen zu beschreiben. Anna hat zudem im Laufe der Geschichte die Möglichkeit, ihre Entwicklung zu beeinflussen, sich über ihre Situation Gedanken zu machen und zu entscheiden, wie sie damit umgehen will. 
 
Was unterscheidet "Hinter Türen" von anderen Comics?

Dinter: Wir haben Wert darauf gelegt, keine explizite Gewalt zu zeigen. Sie passiert vielmehr zwischen den Bildern und im Kopf der Leserinnen und Leser. Je mehr im Kopf stattfindet, desto eher werden die Leute auch zur Auseinandersetzung ermutigt. Genau um diese Sensibilisierung geht es: Was würde ich tun, wenn ich selbst betroffen wäre oder jemand aus meinem Umfeld?
Kreitz: Außerdem sind die Umgebung der Geschichte und auch die Figuren eher unspektakulär und bewusst alltäglich gewählt. Dargestellt werden Menschen wie du und ich. Das ist sehr selten für die Comicszene, da die Zeichner oftmals lieber attraktive Locations und Figuren wählen. Wir haben zudem die Perspektive des Zuschauers von außen gewählt, da vor allem häusliche Gewalt – wie der Titel schon suggeriert – häufig "hinter den Türen" stattfindet. Leserinnen und Leser finden in ihrer Rolle als externe Zuschauende aber kleine Hinweise, die ihnen helfen können, Anzeichen von Gewalt im wahren Leben wahrzunehmen und zu interpretieren.
Dinter: Eine Besonderheit ist auch die Vier-Akt-Struktur. Sonst werden Comics, wie auch Filme, in drei Akten erzählt. Durch den zusätzlichen Akt konnten wir ein fantastisches Element einbauen. Erst dadurch wird sich Anna Wegener bewusst, dass sie genau wie Frau Berger Gewalt erlebt – auch wenn diese deutlich subtiler daherkommt. 
 
Was verbirgt sich hinter dem Titel "Hinter Türen"?

Kreitz: Ein wichtiger Teil der Geschichte handelt von häuslicher Gewalt – und diese findet sehr oft im Verborgenen statt, verbirgt sich also "hinter Türen". So erklärt sich der Titel eigentlich schon von selbst.
Dinter: Außerdem versuchen wir, im wahrsten Sinne des Wortes durch die Hintertür auf das Thema aufmerksam zu machen, anstatt direkt zu sagen "Genau so ist das". 
 
Warum schreiten die Nachbarinnen und Nachbarn nicht ein, auch wenn sie bemerken, dass etwas vorgeht?

Kreitz: Ich glaube, je verdichteter eine Gesellschaft zusammen lebt, desto mehr konzentriert man sich auf sein eigenes Leben und möchte niemand anderem Zugang zu den eigenen Angelegenheiten gewähren. Das spiegelt sich in der häufig vorherrschenden Meinung wider: Es geht mich nichts an, was die Nachbarn tun.
Dinter: Oft haben wir auch Angst vor der sozialen Exposition. Was, wenn ich Unrecht habe mit der Vermutung und sichtbare Verletzungen tatsächlich nur durch einen Sturz von der Treppe entstanden sind? Viele haben Angst davor, was die anderen denken, wenn man etwas Falsches sagt.
Kreitz: Die Menschen müssen immer wieder ermutigt werden, hinzuschauen und keine Angst vor Fehlern zu haben.
 
Welche Form der Unterstützung hätte Frau Berger gebraucht?

Kreitz: Die Nachbarinnen und Nachbarn hätten hinschauen und auf die Anzeichen häuslicher Gewalt reagieren müssen.
Dinter: Ja – und zwar spätestens zu dem Zeitpunkt, als ihr Ehemann beginnt, sie zu isolieren und zu kontrollieren. Die Information, dass es Hilfe geben kann, hätte sie früher erreichen müssen. Die wenigsten sind bereit, direkt einen drastischen Schritt zu gehen und die Polizei aufzusuchen, da sie befürchten, dass alles vor Gericht kommt oder gar in die Zeitung. Das Hilfetelefon bietet hier zum Beispiel einen sicheren Raum, um zunächst einmal mit jemandem zu reden. 
 
Was soll die Graphic Novel bei den Leserinnen und Lesern bewirken?

Kreitz: Sie sollen vor allem lernen, hinzuschauen. Sie sollen helfen, die Abschottung der Betroffenen zu durchbrechen.
Dinter: Die Geschichte soll sensibilisieren und die Leserinnen und Leser dazu bringen, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Sie sollen merken, wie vielfältig Gewalt gegen Frauen sein kann. 
 
Wird dem Thema "Gewalt gegen Frauen" aus Ihrer Sicht in der Öffentlichkeit genug Beachtung geschenkt?

Dinter: Bei der Frage, ob Gewalt gegen Frauen okay ist, lautet die Antwort immer "Nein". Aber die Gesellschaft muss weiter über das Thema diskutieren. Ich würde mir wünschen, dass offener darüber geredet wird.
 
Wie hat sich Ihre Sicht auf das Thema Gewalt gegen Frauen durch dieses Projekt verändert?

Kreitz: Ich schaue genauer hin. Man macht sich Gedanken über sein eigenes Verhalten. Besonders als Frau denke ich über Situationen nach, in denen ich Dinge einfach "hingenommen" habe.
Dinter: Meine Grundeinstellung ist die gleiche geblieben. Aber ich bin sensibilisierter für das Thema, womit sich Frauen im Alltag auseinandersetzen müssen.
 
Kannten Sie vor diesem Projekt die Angebote des Hilfetelefons?

Kreitz: Da ich selbst nicht betroffen bin, habe ich mich nie damit beschäftigt oder nach entsprechenden Angeboten gesucht.
Dinter: Ich wusste zwar, dass ein solches Angebot besteht, habe jedoch nie länger darüber nachgedacht. Ich finde das vielfältige Angebot des Hilfetelefons eine positive Sache, für die sich der Einsatz lohnt.  
 
Warum glauben Sie ist das Hilfetelefon wichtig?

Kreitz: Von Gewalt betroffene Frauen sind oft isoliert von ihrer Umgebung. Ihnen fehlt ein Netzwerk, an das sie sich wenden können. Besonders die ständige Erreichbarkeit des Hilfetelefons – auch in der Nacht – erscheint mir da als große Hilfe. 
Dinter: Das Hilfetelefon ermöglicht einen direkten Zugang zu Information und Unterstützung. Insbesondere die Anonymität in der Beratung schafft eine sichere Zone. Außerdem werden 15 Sprachen von Dolmetscherinnen bedient und auch für Gehörlose besteht ein Angebot mithilfe von Gebärdensprachdolmetschung. Das Hilfetelefon ist sehr breit aufgestellt und einfach erreichbar. Auch wenn man selbst noch nicht definieren kann, was los ist, kann man sich an das Hilfetelefon wenden. Dort gibt es dann die Möglichkeit, mit jemandem über das Erlebte zu sprechen und Fragen zu klären wie "Ist das noch normal?" oder "Darf der das?".
 
Was kann jeder und jede Einzelne tun, um von Gewalt betroffenen Frauen zu helfen?

Dinter: Einfach nachbarschaftliche Kontakte herstellen und Raum für Gesprächssituationen schaffen. Ich glaube, es ist auch wichtig, Offenheit auszustrahlen, damit Leute sich trauen, zu einem hinzugehen. Das wäre ein Anfang. Wir müssen außerdem lernen, auf bestimmte Anzeichen zu achten – das kann auch im Freundeskreis sein, zum Beispiel, wenn Paare anfangen, sich abzuschotten.
Kreitz: Wir müssen als Gesellschaft einfach solidarischer sein.

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