30.06.2021
Sie engagiert sich für die Rechte gewaltbetroffener Frauen: Asha Hedayati ist Anwältin für Familienrecht und zugleich als Dozentin tätig. Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ sprach mit ihr über die Istanbul-Konvention und die Erfahrungen aus ihrem Berufsalltag.
Die europäische Istanbul-Konvention ist aus meiner Sicht ein wirklich großartiges Instrument, um Frauen und Kindern ein gewaltfreies Leben zu ermöglichen. Es geht darin um mehr Geschlechtergerechtigkeit und Gleichberechtigung – das ist schließlich die beste Waffe gegen Gewalt an Frauen.
Positiv ist, dass das Thema Gewalt gegen Frauen ins gesellschaftliche Rampenlicht gerückt ist und öffentlich thematisiert und diskutiert wird. Dennoch ist drei Jahre nach Inkrafttreten der Konvention vieles noch nicht umgesetzt.
In Artikel 31 der Istanbul-Konvention geht es um Sorgerecht, Besuchsrecht und Sicherheit in Kindschaftsverfahren. Darin steht beispielsweise, dass Familiengerichte Gewaltvorfälle in ihren Entscheidungen über das Besuchs- und Sorgerecht berücksichtigen sollen. In der Praxis erlebe ich das aber selten, viele Richterinnen und Richter wissen noch nicht einmal etwas über die Istanbul-Konvention!
Meiner Einschätzung nach nur mit verpflichtenden Fortbildungen zur Istanbul-Konvention und zu häuslicher Gewalt, zu den Dynamiken in Gewaltbeziehungen und dem Machtungleichgewicht. Gefordert wird dies übrigens schon länger, es wird höchste Zeit für die Umsetzung von Fortbildungsmaßnahmen in Familiengerichten.
In den Gerichtsverfahren erlebe ich, dass Frauen mit Kindern, die Gewaltbeziehungen verlassen wollen, schlecht geschützt werden. Bestehen Umgangskontakte zu den Vätern, werden Frauen von diesen bei der Übergabe der Kinder häufig bedroht oder sogar angegriffen – das ist ein großes Problem. Das Umgangsrecht höhlt meiner Einschätzung nach den Gewaltschutz aus. Und die Kinder werden wiederum zu Zeugen dieser Partnerschaftsgewalt.
Ja, genug! Zum Beispiel, dass es bundesweit nicht genügend Plätze in Frauenhäusern gibt und dass bei geflüchteten Frauen, die von Gewalt betroffen sind, die Hilfe aus vielerlei Gründen nicht ankommt. Außerdem wären Fortbildungen für Polizei und Jugendämter wichtig und natürlich viel mehr Täter- und Präventionsarbeit.
In Polizeibehörden und Jugendämtern wird einer gewaltbetroffenen Frau oft nicht geglaubt. Ihr wird teilweise unterstellt, dass sie dem Vater aus persönlichen Motiven heraus schaden möchte und sie erfährt daher keine Hilfe. Da spielt auch die schon oft thematisierte personelle Unterbesetzung der Jugendämter hinein: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen oft nicht, was in den Familien so passiert und wollen die Fälle aus Zeitmangel schnell vom Tisch haben.
Es gibt viel zu wenig Täterarbeit, obwohl Studien belegen, dass Rückfallquoten sinken, wenn Täter spezielle Anti-Gewalt-Kurse belegen. Ich erlebe, dass Familiengerichte viel zu selten solche Maßnahmen anordnen. Das würde helfen, künftige Gewalttaten gegen Frauen zu vermeiden. Partnerschaftsgewalt muss auch in Kindschaftsverfahren eine Rolle spielen und ernst genommen werden. Wenn Kinder Zeuginnen und Zeugen von Partnerschaftsgewalt werden, besteht ein großes Risiko, dass sie im späteren Leben als Erwachsene auch zu Opfer oder Tätern werden.
Spanien nimmt aus meiner Sicht eine Vorreiterrolle ein. Dort gehen die Behörden konsequenter mit gewalttätigen Menschen um. Es gibt Gerichte, die auf Fälle von häuslicher Gewalt spezialisiert sind, die Richterinnen und Richter werden regelmäßig fortgebildet. Außerdem ist ein Schulfach eingerichtet, das Kindern Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit lehrt. Ich glaube, wir brauchen viele „Runde Tische“ für den gesellschaftlichen Austausch, um uns zu orientieren und voneinander zu lernen – innerhalb Deutschlands und auch Europas.
Ich bin dankbar und froh, dass es dieses Beratungsangebot gibt. Gerade in der Pandemie, wo viele Unterstützungseinrichtungen nicht erreichbar waren, weiß ich nicht, was wir ohne das Hilfetelefon gemacht hätten…
Das hat sich tatsächlich erst im Lauf der Zeit entwickelt. Während meines Referendariats habe ich näheren Kontakt zu diesem großen und wichtigen Themenfeld bekommen; ich habe den Bedarf gesehen – gerade für gewaltbetroffene Frauen. Deswegen habe ich mittlerweile auch Lehrtätigkeiten angenommen und bilde Studierende der Sozialen Arbeit aus. Das ist zum einen ein schöner Ausgleich zu meiner manchmal fordernden Anwaltstätigkeit, zum anderen ein gesellschaftlicher Beitrag für mehr Bewusstsein und Wissen über Gewalt gegen Frauen.
Foto: ©Asha Hedayati privat