Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

21.09.2021

Unternehmen müssen Beschäftigte vor sexueller Belästigung schützen

Ein Interview mit Bernhard Franke

Bernhard Franke ist kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ sprach mit ihm über das neue Online-Portal www.betriebsklimaschutz.de, das private und öffentliche Arbeitgeber im Kampf gegen sexuelle Belästigung unterstützen soll.

Herr Franke, weshalb wurde das Online-Portal #betriebsklimaschutz als Initiative gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ins Leben gerufen?

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist ein Thema, das nicht verdrängt werden darf, sondern in die Öffentlichkeit gehört. Uns war es wichtig, gute und praktisch bewährte Ansätze zu zeigen, gegen sexuelle Belästigung vorzugehen. Wir möchten Unternehmen Vorbilder aufzeigen und Anregungen geben, selbst aktiv zu werden – egal ob es sich um einen kleinen Betrieb oder ein großes Unternehmen handelt. Jeder Arbeitgeber ist nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verpflichtet, seine Beschäftigten vor Diskriminierung und sexueller Belästigung zu schützen. Viele Arbeitgeber haben das Problem auch erkannt und wollen etwas tun. Unser Leitfaden „Was tun bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?“ zählt seit langem zu den am meisten nachgefragten Publikationen. Wir werden auch häufig zu Workshops und Vorträgen angefragt. Dieses Angebot wollten wir ergänzen, indem wir konkrete Beispiele aufzeigen, an denen sich andere orientieren können.

Gewalt im Berufsleben findet in unterschiedlichen Formen statt – insbesondere Frauen erleben häufig sexuelle Belästigung. Gibt es Zahlen, wie viele Frauen davon bundesweit betroffen sind?

Das lässt sich nicht einfach beziffern, da wir beim Thema Diskriminierung und sexueller Belästigung von einer hohen Dunkelziffer ausgehen müssen. Grundsätzlich haben Diskriminierungen und sexuelle Belästigung in den meisten Fällen mit Macht und Machtmissbrauch zu tun, mit dem Verweis einer Frau „auf ihren Platz“, dem Kleinmachen und Einschüchtern. Die Formen können sehr vielfältig sein. Grundsätzlich ist bei sexueller Belästigung vielen immer noch nicht klar, dass es hier nicht nur um körperliche Übergriffe gehen muss, sondern Belästigung sehr viel früher anfängt: mit anzüglichen Witzen, E-Mails oder Sprüchen, wenn sie unerwünscht und würdeverletzend sind. Ganz unerheblich ist dabei, ob dies aus Tätersicht „nicht so gemeint war“. Es geht darum, dass ein sexuell bestimmtes Verhalten bei Betroffenen unerwünscht ist.

Sie nutzen in Ihrem Online-Portal ausgewählte Beispiele sogenannter Guter Praxis und zeigen Maßnahmen, mit denen Unternehmen ihre Beschäftigten vor sexueller Belästigung schützen. Welche Vorteile bringt die fallbezogene Aufbereitung?

Die Beispiele sind anschaulich und leicht nachvollziehbar. Sie zeigen, was sich in unterschiedlichsten Arbeitsumgebungen machen lässt. Und sie zeigen auch, dass der Umgang mit sexueller Belästigung nichts ist, was Betriebe unter den Teppich kehren müssen, sondern im Gegenteil ein offensives und präventives Vorgehen für ein gutes Betriebsklima sorgt.

Über 120 Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz haben Sie analysiert. Können Sie benennen, womit sich sexuelle Belästigung im Arbeitsumfeld bestmöglich verhindern lässt und wie Betroffene unterstützt werden können?

Das ist abhängig von Arbeitsumfeld und Betriebsgröße. Über allem steht aber eine Betriebskultur, in der deutlich wird, dass Diskriminierungen und sexuelle Belästigung nicht geduldet und Betroffene ernst genommen werden. Wichtig ist auch, dass es eine Beschwerdestelle mit unabhängigen Vertrauenspersonen gibt. Als weitere Maßnahmen können sehr wirksam sein: Schulungen, Sensibilisierung, Verhaltenskodizes, Betriebsvereinbarungen. Arbeitgeber, Gewerkschaften und Gleichstellungsbeauftragte sollten diejenigen Maßnahmen nutzen, die sie am besten umsetzen können – aber sie sollten auf jeden Fall Maßnahmen haben oder auf den Weg bringen.

Welchen Umfang hat das Projekt rund um das Online-Portal inklusive der ganzen Vorbereitung?

Ein Team aus externen Expertinnen und Experten hat im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Zeitraum von September 2020 bis März 2021 im gesamten Bundesgebiet die Projekte ausgewählt. Hierfür wurden in jedem Unternehmen bzw. jeder Organisation Interviews mit den Verantwortlichen geführt, zum Beispiel mit Führungskräften, Beauftragten, Betriebs- oder Personalratsmitgliedern, Rechtsabteilungen oder Ombudspersonen.

Wird Ihrerseits untersucht, ob und inwieweit Frauen in bestimmten Berufen, Einrichtungen oder Strukturen in besonderem Maße von sexueller Belästigung betroffen sind?

Niemand ist in irgendeiner Branche vor sexueller Belästigung sicher. Eine Studie in unserem Auftrag von 2019 hat gezeigt, dass jede elfte erwerbstätige Person (neun Prozent der Befragten) in den vergangenen drei Jahren sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt hat. Frauen waren mit einem Anteil von 13 Prozent mehr als doppelt so häufig wie Männer (fünf Prozent) betroffen. Die Auswertung verschiedener Untersuchungen zeigte unter anderem, dass Frauen, die aufgrund ihres Aussehens oder Namens als nichtdeutsch wahrgenommen werden, einem signifikant höheren Risiko ausgesetzt sind, mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz konfrontiert zu werden. Tendenziell häufiger betroffen sind demnach auch geringfügig und befristet Beschäftigte, zu denen auch die Gruppe der Praktikantinnen und Praktikanten zu zählen sind. Ebenso steigt das Risiko für Frauen in führenden Positionen. Der Bereich des Gesundheits- und Sozialwesens, der Dienstleistungssektor sowie Bildung und Erziehung verzeichnet ebenfalls mehr Betroffene.

Bieten Sie neben der Bereitstellung von Materialien auch persönliche Beratungsgespräche zum Thema sexuelle Belästigung im Arbeitsumfeld an?

Wir haben einerseits ein juristisches Beratungsteam, an das sich betroffene Personen wenden können. Wir schätzen ein, ob eine Diskriminierung vorliegt, welche rechtlichen Schritte unternommen werden können und nehmen auf Wunsch Kontakt mit dem Betrieb auf. Daneben werden wir auch immer wieder von Arbeitgebern und Gewerkschaften gefragt oder geben Workshops.

Was muss sich mit Blick auf sexuelle Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz am schnellsten ändern?

Sexuelle Belästigung wird immer noch zu häufig bagatellisiert. Solange Frauen Angst vor negativen Konsequenzen am Arbeitsplatz haben müssen, wenn sie sexuelle Belästigung in ihrem Unternehmen ansprechen, kann es keine tiefgreifenden Änderungen geben. Ich wünsche mir, dass Betriebe von vornherein offen damit umgehen und zeigen, dass sie an der Seite der Betroffenen stehen.

www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/wir-beraten-sie/praxisbeispiele/praxisbeispiele-node.html

Foto: © Bernhard Franke

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