06.06.2025
Unterstützung für Betroffene von Menschenhandel – trotz enormer Hürden
Menschenhandel, Zwangsprostitution, Zwangsheirat oder Arbeitsausbeutung sind gravierende Gewaltformen, bei denen Betroffene häufig nur schwer Zugang zu Beratung und Unterstützung finden. Dies zeigt sich auch darin, dass beim Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen” bislang nur wenige Beratungsanfragen im Bereich des Menschenhandels eingehen.
Gemäß dem Hilfetelefon-Gesetz können sich Frauen, die von unterschiedlichen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, an das Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen” wenden. Das gilt auch für Betroffene von Menschenhandel. Der niedrigschwellige Ansatz ermöglicht rund um die Uhr Zugang zu qualifizierter Beratung: Erfahrene Beraterinnen sind 24 Stunden täglich an 365 Tagen im Jahr erreichbar, und zwar kostenlos, anonym und in 18 Fremdsprachen. So können Betroffene jederzeit unabhängig von ihrer Situation Unterstützung erhalten.
Susanne Häusler, die das Fachthema Menschenhandel beim Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen” betreut, erklärt: “Im Jahr 2023 wurden 136 Gespräche zum Thema Menschenhandel geführt, im Jahr davor waren es 120.” Ihr ist es wichtig, die Zahlen einzuordnen: “Insgesamt haben wir 2023 rund 59.000 Beratungskontakte verzeichnet. Es sind sehr wenig Ratsuchende speziell zu diesem Thema – aber das hat Gründe.”
Die besondere Lage der Betroffenen
Betroffene von Menschenhandel befinden sich in einer äußerst vulnerablen Lage. Sie sind oft isoliert, leben in Angst vor psychischer und physischer Gewalt und sind möglicherweise in kriminellen Strukturen gefangen. Der Zugang zu Unterstützung ist für sie meist mit hohen Hürden verbunden: Sprachbarrieren, fehlendes Wissen über Unterstützungsangebote in Deutschland und Unsicherheit bezüglich ihrer Rechte erschweren den ersten Schritt.
“Viele Betroffene stehen unter hohem Druck. Sie sind misstrauisch, haben Angst vor den Tätern, nicht allein, weil sie Gewalt erfahren, unter Umständen auch, weil ihre Familien bedroht werden”, schildert Susanne Häusler. “Viele kämpfen mit Schamgefühlen, möchten ihren Familien in der Heimat nicht mitteilen, dass sie ausgebeutet werden – etwa wenn sie sich gegen den Willen der Angehörigen auf den Weg gemacht haben. Sie tun sich schwer damit, einzugestehen, dass ihre Träume von einem besseren Leben zerplatzt sind.” Hinzu komme die Sorge vor Abschiebungen, wenn sie sich beispielsweise an die Polizei wenden, da kaum eine der Betroffenen über einen gesicherten Aufenthaltsstatus verfüge.
Wie kann die Unterstützung durch das Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen” konkret aussehen? “Wir konnten einer Ratsuchenden in einer Akutsituation helfen. Sie wurde unfreiwillig in einem Bordell zu sexuellen Dienstleistungen gezwungen”, so Susanne Häusler. Sie und ihr Team beobachten vermehrte Anfragen nach Möglichkeiten des Ausstieges aus der Zwangsprostitution, häufig mit dem Wunsch, dass die Familie nichts davon erfahren darf. In mehreren Fällen von Ausbeutungssituationen in Haushalten hat es Beratungen gegeben und in einem schwerwiegenden Fall konnte die Betroffene mit Hilfe der Polizei in Sicherheit gebracht werden.
Behutsam Vertrauen aufbauen, Spielräume eröffnen
Die Beraterinnen des Hilfetelefons “Gewalt gegen Frauen” sind speziell geschult, um behutsam Vertrauen zu den Ratsuchenden aufzubauen – oft der schwierigste erste Schritt. “Es ist selten, dass eine Frau sofort ihre ganze Geschichte erzählt”, beschreibt Susanne Häusler. “Die Beraterinnen sind daher bemüht, zunächst eine vertrauliche Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Dabei achten sie auf viele Nuancen und Details, um die Situation richtig einzuordnen. Manchmal ist es für die Frauen schon eine große Entlastung, wenn die Beraterin einfach nur aufmerksam zuhört.”
Die Beratung erfolgt grundsätzlich anonym, es werden keine Daten erhoben, gespeichert oder weitergegeben. Die Beraterinnen ermutigen Betroffene, weitere Hilfe in Anspruch zu nehmen und verweisen auf Unterstützungsangebote in der Nähe. Die Polizei wird nur verständigt, wenn Ratsuchende dies ausdrücklich wünschen. “Die Beratung zielt darauf ab, wieder Handlungsspielräume zu eröffnen, allerdings ohne Druck zu erzeugen”, so Fachbereichsleiterin Häusler. Das Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen” übernimmt eine Lotsenfunktion: Die Beraterinnen vermitteln zu spezialisierten Fachberatungsstellen für Menschenhandel und zu anderen Anlaufstellen. In akuten Krisen versuchen sie unmittelbare Hilfe zu organisieren. Dabei wird einer der wichtigsten Beratungsgrundsätze gewahrt: Die Beratung bleibt stets ergebnisoffen – alle Entscheidungen liegen bei den Ratsuchenden.
Unterstützung für das soziale Umfeld
Nicht nur Betroffene können sich an das Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen” wenden. Auch Angehörige, Eltern, Freundinnen oder Fachkräfte wie Sozialarbeiter/-innen erhalten Antworten auf ihre Fragen, wenn sie den Verdacht haben, dass eine Frau von Menschenhandel betroffen ist und sie nicht wissen, wie sie reagieren können.
Das Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen” kann somit ein wichtiger erster Kontaktpunkt sowohl für Betroffene als auch für Menschen im Umfeld sein und damit ein wichtiges Element in der Präventions- und Interventionskette gegen diese schwerwiegende Menschenrechtsverletzung.
Seit 2024 setzt das Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen” verschiedene Öffentlichkeitsmaßnahmen um mit dem Ziel, von Menschenhandel betroffene Frauen besser mit seinem Erstberatungsangebot zu erreichen.