Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

15.12.2022

Verständigung ohne Sprachbarrieren – Wie die Beratung mit Hilfe einer Dolmetscherin gelingt

Seit mehr als zehn Jahren berät Asya Fidan (Name geändert) beim Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" Betroffene, Angehörige und Fachkräfte. Im Interview schildert sie, wie die Beratung mit Hilfe einer qualifizierten Dolmetscherin gelingt und worauf es ankommt, wenn drei Personen in der Leitung sind. Von Gewalt betroffene Frauen sind erleichtert, wenn sie über sensible Themen in ihrer Muttersprache sprechen können.

Frau Fidan, wie begrüßen Sie eine Anruferin?

Asya Fidan: Auf Deutsch. Ich sage: "Hier ist das Hilfetelefon ,Gewalt gegen Frauen', Guten Tag oder Guten Abend".

Wie geht es weiter, wenn jemand nicht Deutsch spricht?

Asya Fidan: Das kommt auf die Situation an. Viele Anruferinnen können auf Deutsch sagen, welche Nationalität sie haben. Manchmal fällt aber auch nur ein Stichwort. Das können Sie sich etwa so vorstellen: Jemand sagt nicht, ich bin Italienerin, sondern nennt nur das Stichwort Italien. Sobald ich verstehe, welche Sprache die Anruferin spricht, kann ich schnell eine Italienisch sprechende Dolmetscherin hinzuziehen.

Dann sind drei Personen in der Leitung?

Asya Fidan: Richtig. Ich sage der Anruferin, "einen kleinen Moment bitte" und muss hoffen, dass das verstanden wird. Innerhalb einer Minute kann ich die Dolmetscherin hinzuschalten. Die stellt sich vor und erklärt, dass sie übersetzen wird. Die Dolmetscherinnen, mit denen wir zusammenarbeiten, sind sehr gut qualifiziert und kennen die Abläufe.

Wie gelingt das Zusammenspiel von Beraterin und Dolmetscherin?

Asya Fidan: Es ist klar, dass ich die Gesprächsleitung habe. Ich bin aber auf das Zusammenspiel mit der Dolmetscherin angewiesen – und auch auf ihr Feingefühl. Zum Beispiel kann es in einem Gespräch so sein, dass eine Anruferin das Leid von vielen Jahren schildert – die Sätze sprudeln dann nur so aus ihr heraus. Die Informationen kommen ungeordnet. Dann würde die Dolmetscherin den Sprachfluss stoppen, um alles zu verstehen und einzuordnen. Unter Umständen kann das als negativ empfunden werden, deshalb kündigt die Dolmetscherin meist schon bei ihrer Vorstellung an, dass sie eventuell unterbrechen muss, um übersetzen zu können. Es hat sich bewährt, in kleineren Blöcken von drei, vier Sätzen zu übersetzen. Wir orientieren uns an Leitlinien, aber wir entscheiden natürlich immer so, wie es die individuelle Situation der Anruferin verlangt.

Worauf ist zu achten in einem Gespräch in Dreierkonstellation?

Asya Fidan: Wir Beraterinnen bauen eine Beziehung auf zu den Anruferinnen. Wenn ich auf Deutsch oder auch in meiner Muttersprache Türkisch berate, kann ich mir aufgrund der Sprache ein Bild machen. Ich gewinne nach wenigen Sätzen eine Vorstellung, etwa über den sozialen Hintergrund. Bei der Zusammenarbeit mit der Dolmetscherin bin ich auf ihr Gespür für diese Details angewiesen. Oder ein anderes Beispiel: Manchmal antworte ich in kurzen Sätzen, die Dolmetscherin spricht aber viel länger. Dann frage ich nach, was gesagt wurde und sie erläutert, dass sie bestimmte Begriffe erklären musste, wie etwa, was ein Frauenhaus ist oder was das Wort 'Näherungsverbot' bedeutet.

Ist das eine Besonderheit in der Beratung von Frauen mit Zuwanderungsgeschichte, dass Sie Begriffe wie 'Näherungsverbot' erklären oder die Schutzangebote eines Frauenhauses erläutern müssen?

Asya Fidan: Nicht unbedingt. In der Beratung müssen wir oft Begriffe erklären, auch deutschsprachigen Ratsuchenden. Bei vielen Anruferinnen gibt es Hemmungen und Ängste, auch Vorbehalte. Wir erklären oft, dass ein Frauenhaus kein schlechter Ort ist, sondern ein Haus, das Schutz bietet. Was man aber schon sagen kann ist, dass Frauen es aufgrund von Sprachbarrieren schwer haben, Zugang zum Unterstützungssystem zu bekommen. Migrantinnen kennen sich oft nicht gut aus mit den sozialen Hilfesystemen.

Sie arbeiten in einem interkulturellen Beraterinnen-Team, einige Ihrer Kolleginnen beraten nicht nur auf Deutsch, sondern auch in ihrer Muttersprache ohne die Hilfe einer Dolmetscherin. Sie beraten bei Bedarf auf Türkisch. Wo liegen dabei die Vorteile?

Asya Fidan: Für Anruferinnen ist es meist eine große Erleichterung, wenn sie in ihrer Muttersprache beraten werden. Wie gesagt, ich melde mich ja auf Deutsch am Telefon, aber wenn mir klar wird, dass jemand Türkisch spricht und ich dann wechsle, spüre ich eine große Erleichterung bei der Anruferin. Allein durch die gemeinsame Sprache entsteht eine besondere Nähe. Dann kann es auch vorkommen, dass mich die Anruferin mit Abla anspricht, das bedeutet ältere Schwester und ist eine respektvolle Anrede für eine Ratgeberin, der man vertraut. Das Stichwort kulturelle Verschiedenheit ist schon wichtig. Mir als Türkin sind patriarchale Familienstrukturen nicht unvertraut. Das hilft oft auch bei der Beratung von Frauen aus Syrien, Afghanistan oder dem Iran. Wer aus diesem Kulturkreis stammt, bespricht oft mit uns auch Probleme mit der Familie des Ehemanns, etwa wenn es Druck seitens der Schwiegermutter gibt. Oftmals müssen sich Frauen komplett der Familie des Mannes unterwerfen.

Kommt es für Sie als Beraterin auch zu herausfordernden Situationen?

Asya Fidan: Stressig wird es, wenn ich gleichzeitig Beraterin und Dolmetscherin sein muss. Es kann passieren, dass mich eine türkischsprechende Frau anruft, die in einer Notsituation ist. Unter Umständen ist dort auch schon die Polizei vor Ort und will mit mir reden. Dann übernehme ich gleich zwei Rollen und muss mich anstrengen, allen gerecht zu werden.

Also rufen auch Behörden beim Hilfetelefon an?

Asya Fidan: Richtig, wir haben nicht nur mit den von Gewalt betroffenen Frauen zu tun. Es melden sich auch Angehörige. Und auch Frauenberatungsstellen, Frauenhäuser oder eben die Polizei kennen uns als Anlaufstelle. Übrigens auch Ärztinnen und Ärzte oder pädagogische Fachkräfte in Schulen oder Kindertagesstätten. Wir halten hier wirklich ein sehr gutes Unterstützungsangebot vor.

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