Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

13.05.2024

Warum medizinische Fachkräfte für gewaltbetroffene Frauen eine Schlüsselfunktion haben ...

… und wie Mitarbeitende aus dem Gesundheitsbereich diesbezüglich unterstützt werden können

Frauen dabei zu unterstützen, selbstbestimmte Schritte aus der Gewalt zu gehen, ist kein expliziter Auftrag medizinischer Fachkräfte. Gesundheitseinrichtungen stellen für Gewaltbetroffene jedoch häufig den räumlich naheliegendsten, den ersten oder sogar einzigen Kontaktpunkt dar. Daraus ergibt sich für Mitarbeitende in Praxen und Kliniken eine große Chance, aber auch eine besondere Verantwortung. Die Beraterinnen des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen" stehen Fachkräften aus dem Gesundheitsbereich bei Fragen oder Verdachtsmomenten rund um die Uhr als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung und informieren darüber hinaus über ergänzende, fachliche Angebote sowie Kontakt- und Anlaufstellen für gewaltbetroffene Frauen vor Ort.

Medizinische Fachkräfte kommen in ihrer Arbeit mit gewaltbetroffenen Patientinnen in Kontakt. Dabei kann es sich um Frauen handeln, die nach einer Gewalterfahrung gezielt eine Arztpraxis, eine Klinik oder eine andere medizinische Einrichtung aufsuchen. Häufig fallen bedenkliche Verletzungen auch im Rahmen einer Routineuntersuchung auf oder im Gespräch mit einer Patientin ergeben sich Verdachtsmomente. Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" berät nicht nur die Betroffenen von Gewalt, sondern auch medizinische Fachkräfte, die unsicher sind, wie sie in einer solchen Situation handeln sollen, die Informationen suchen und sich austauschen möchten.

Gespräche mit den qualifizierten und erfahrenen Beraterinnen des Hilfetelefons bieten die Möglichkeit, sinnvolle Schritte zu erörtern oder sich zu einer geplanten Intervention rückzuversichern. Darüber hinaus können Fachkräfte für sich selbst Beratung in Anspruch nehmen, sofern sie an die eigenen Belastungsgrenzen stoßen und sich bei der Unterstützung gewaltbetroffener Patientinnen überfordert fühlen. Die Beraterinnen des Hilfetelefons sind rund um die Uhr erreichbar. Das gibt Fachkräften die Chance, sich auch unmittelbar im Klinik- bzw. Praxisalltag zum Umgang mit gewaltbetroffenen Frauen beraten zu lassen oder sich über mögliche Unterstützungsangebote vor Ort zu informieren.

Fachkräfte haben außerdem die Möglichkeit, ihre Patientinnen auf das kostenfreie Angebot des Hilfetelefons aufmerksam zu machen. So können sie der eigenen Verantwortung gerecht werden, ohne im engen Rahmen des vertragsärztlichen Systems selbst eine tiefgreifende Beratung leisten zu müssen. Ob eine Frau das Angebot wahrnimmt, wie das Gespräch mit den Beraterinnen des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen" verläuft und welche Schritte folgen, liegt in der Hand der Betroffenen.

Die Schlüsselrolle medizinischer Fachkräfte

Eine Untersuchung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) bestätigt den zentralen Stellenwert von ärztlichem Fachpersonal als "Anlaufstelle" und die "Schlüsselrolle", die dieser Gruppe für den weiteren Verlauf der Biografie einer gewaltbetroffenen Frau zukommen kann: "Wenn sich die von Gewalt in Paarbeziehungen betroffenen Frauen an Repräsentantinnen oder Repräsentanten des Hilfe- bzw. Interventionssystems wenden, sind Ärzte und Ärztinnen oft die ersten Ansprechpersonen; in zweiter Linie werden Personen aus dem Bereich Frauenhilfseinrichtungen/Therapie/Sozialarbeit kontaktiert. Die Polizei steht an dritter Stelle." In einer europaweiten Studie der European Union Agency for Fundamental Rights (FRA) wurde außerdem festgestellt, dass 87 Prozent der befragten Frauen es akzeptabel finden, wenn Personen im ärztlichen Dienst routinemäßig zum Thema Gewalt nachfragen, sofern Patientinnen bestimmte Verletzungen oder Merkmale aufweisen. Ein Wert, der in den meisten anderen Lebensbereichen, etwa im Berufsleben oder im Bildungsbereich, undenkbar wäre.

Zu dieser außergewöhnlich hohen Akzeptanz kann zum einen das Wissen um die ärztliche Schweigepflicht beitragen. Zum anderen erwächst aus dem häufig über Jahre oder sogar Jahrzehnte bestehenden Kontakt zu einer medizinischen Fachkraft in vielen Fällen ein besonderes Vertrauensverhältnis, das für gewaltbetroffene Patientinnen möglicherweise die Grundlage dafür darstellt, sich zu öffnen.

Zwar nimmt nur jede dritte Frau nach einer körperlichen oder sexuellen Gewalttat etwa aufgrund von Angst-, Scham- oder Schuldgefühlen medizinische Hilfe in Anspruch. Doch unabhängig von der akuten Versorgung kann jeder Besuch einer Arztpraxis, einer Klinik, einer therapeutischen Praxis oder einer Apotheke für betroffene Frauen eine Möglichkeit sein, Unterstützung zu finden – sofern medizinische Fachkräfte Zeichen von Gewalt erkennen, Patientinnen behutsam darauf ansprechen und in der Lage sind, bei Bedarf gemeinsam mit ihnen weitere Schritte zu erwägen. Doch die Realität in Gesundheitseinrichtungen sieht häufig anders aus. Fehlende zeitliche Kapazitäten, mangelndes Wissen und das fehlende Bewusstsein für die eigene Schlüsselrolle verhindern in vielen Fällen die Unterstützung gewaltbetroffener Frauen.

So können sich medizinische Fachkräfte (noch) besser aufstellen

Um die Lage zu verbessern und Fachkräfte zu sensibilisieren, bieten Netzwerke, Vereine und Organisationen wie etwa die "Koordinierungs- und Interventionsstelle zur Förderung der Intervention und Prävention in der Gesundheitsversorgung bei häuslicher und sexualisierter Gewalt" des S.I.G.N.A.L. e. V. Maßnahmen und Schulungen an. Dabei erfahren Mitarbeitende aus dem Gesundheitsbereich beispielsweise, wie sich Verdachtsmomente bzw. Verletzungen Trauma-sensibel ansprechen lassen, wie die Selbstbestimmung Betroffener gestärkt werden kann und welche Beratungs- und Hilfsangebote es gibt.

Auch das 2004 initiierte, mehrfach ausgezeichnete und deutschlandweit erste Netzwerk zur verbesserten Gesundheitsversorgung gewaltbetroffener Frauen "GESINE Netzwerk Gesundheit.EN" des Vereins Frauen helfen Frauen EN bietet Qualifizierungsmaßnahmen und Arbeitshilfen für Fachkräfte. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen unter anderem die Sensibilisierung für die Gesundheitsrelevanz von Gewaltbelastungen sowie die Umsetzung grundlegender Standards der "gewaltinformierten Versorgung". Die Vernetzung mit regionalen und lokalen Institutionen und Einrichtungen, wie sie auch vom GESINE Netzwerk vorangetrieben wird, kann ebenfalls eine sinnvolle Maßnahme sein, etwa um gewaltbetroffene Frauen bei Bedarf über Angebote in der Nähe zu informieren. Sofern Fachkräfte wissen, welche Beratungs- und Betreuungsangebote den betroffenen Frauen empfohlen werden können, kann dies den Austausch erleichtern und Betroffenen möglicherweise neue Möglichkeiten aufzeigen.

Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" informiert Fachkräfte nicht nur über Einrichtungen vor Ort, sondern stellt auch kostenlose Materialien wie Plakate und Aufkleber zur Verfügung, mit denen die Patientinnen in einer Praxis oder einer Klinik auf das Angebot des Hilfetelefons aufmerksam gemacht werden können. Dies signalisiert gewaltbetroffenen Frauen eine gewisse Offenheit und ein Bewusstsein für das Thema.

Viele weitere Einrichtungen stellen Fachkräften ergänzende Dokumente wie Adresslisten und Dokumentationsbögen zur Verfügung. So vermittelt etwa die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Broschüre "Gewalt gegen Frauen: erkennen und helfen" von Zeitbild MEDICAL medizinischem Fachpersonal Anregungen zu Diagnostik, Dokumentation und Interventionsmöglichkeiten.

Entscheidend ist, dass diese Angebote auch wahrgenommen werden und die Unterstützung gewaltbetroffener Frauen im Gesundheitssystem dadurch konkret verbessert wird.

"Für Ärztinnen und Ärzte geht es darum Achtsamkeit zu lernen, in der täglichen Arbeit wie auch im Rahmen von Fortbildungen. Zum anderen geht es aber auch um die Sensibilisierung unserer Patientinnen. Die Erkenntnis ‚Ich bin Opfer von Gewalt‘ ist für die Betroffenen viel schwieriger, als es von außen erscheinen mag", fasst die Medizinerin und Sprecherin des Forums Hausärztinnen des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes Dr. med. Nadezda Jesswein zwei zentrale Ziele zum Schutz und zur Prävention von Gewalt gegen Frauen zusammen.

Beratung für Fachkräfte

Sie arbeiten selbst in einer Arztpraxis, Klinik, Apotheke oder Pflegeeinrichtung und haben Fragen zu einem konkreten Fall oder benötigen Informationen? Die Beraterinnen des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen" unterstützen Sie gerne: Rufen Sie an unter der kostenfreien Rufnummer 116 016 oder informieren Sie sich auf www.hilfetelefon.de.

Infomaterialien des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“, darunter Flyer, Aufkleber und Plakate, können Sie hier kostenfrei bestellen und in Ihrer Einrichtung nutzen.

Die gesundheitlichen Auswirkungen von Gewalt gegen Frauen

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Gewalt als eines der größten Risiken für die Frauengesundheit ein; jede dritte Frau über 15 Jahre erlebt hierzulande mindestens einmal in ihrem Leben physische und/oder sexualisierte Gewalt – zum Teil mit unmittelbaren Verletzungsfolgen, zum Teil mit langfristigen psychischen und (psycho-)somatischen Auswirkungen. Nicht nur physische und sexualisierte Gewalt – die sich gerade im Bereich der Häuslichen Gewalt oft zu komplexen Mustern verdichten – sind eine Gefahr für die Gesundheit von Frauen. Studien belegen, dass sich alle Formen von Gewalt negativ auswirken – von Drohungen, Beschimpfungen und Demütigungen, über systematische Kontrolle und Isolierung bis zu Stalking oder sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Die Beschwerden bestehen häufig weit über das Ende der Gewaltsituation hinaus.

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