Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

30.5.2017

Wege aus der Isolation – Spezialisierte Unterstützung von Stalking-Opfern in Berlin

Beate Köhler ist Koordinatorin und Beraterin beim Anti-Stalking-Projekt des FRIEDA-Frauenzentrum e. V. in Berlin. Seit vier Jahren betreut sie Frauen, die von ihren Ex-Partnern oder Ex-Partnerinnen, von Personen aus ihrem Umfeld oder teils fremden Menschen gestalkt werden. Ihre Arbeit geht dabei über psychosoziale Beratungsgespräche hinaus: Sie begleitet Betroffene auf dem Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben und bemüht sich um eine öffentliche Diskussion zum Thema Stalking. 

Wer gestalkt wird, zweifelt oft an sich

Blumensträuße mit abgetrennten Köpfen, Hundekot vermischt mit Ei auf der Windschutzscheibe, Ameisen im Briefkuvert: Stalker und Stalkerinnen lassen sich einiges einfallen, wenn es darum geht, ungleiche Machtverhältnisse zu schaffen. Für betroffene Frauen sind das schlimme Situationen, häufig fühlen sie sich selbst von Bekannten oder Verwandten nicht richtig ernstgenommen. Die Folge: Sie zweifeln und isolieren sich, ein Gefühl der Ohnmacht überkommt sie. Kann mir überhaupt geholfen werden? Ja, das kann es: Etwa durch Beratungsangebote wie dem Anti-Stalking-Projekt in Berlin. 

Das Gefühl, wenn einem alles aus der Hand genommen wird

Im angesagten Stadtteil Friedrichshain, umgeben von Altbauwohnungen, kleinen Geschäften und Cafés, liegt das FRIEDA-Beratungszentrum für Frauen. Betroffene, die hierher kommen, profitieren vom Schutz dieser Umgebung. Die Räumlichkeiten der Frauenberatungsstelle befinden sich in einem normalen Berliner Miethaus. Hier hat auch Beate Köhler ihr Büro. Sie ist Beraterin und Koordinatorin beim Anti-Stalking-Projekt des Frauenzentrums und viel beschäftigt, denn sie kümmert sich nicht nur um betroffene Frauen, sondern managet auch das Projekt, sorgt für die nötige Öffentlichkeit. Ein stressiger Job, aber sie macht ihn gern – sehr gern sogar.
 
Beate Köhler war viele Jahre als Beraterin im FRIEDA-Frauenzentrum tätig, bevor sie sich auf den Bereich Stalking fokussierte: "Anfragen von Frauen, die Nachstellungen und Stalking erlebten, häuften sich. Daraufhin habe ich mich umgehört, wer Expertise auf dem Gebiet hat und Weiterbildungen anbietet. Nach und nach habe ich den Bereich Stalking dann in die psychosoziale Beratung integriert." Doch irgendwann reichte ihr das nicht mehr aus. "Wir haben uns gefragt, wie wir die Frauen dazu bringen können, ihre Ressourcen wieder aufzubauen und sich ein Stück weit selbst zu helfen, ihr Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen. Denn wer gestalkt wird, hat das Gefühl, dass einem alles aus der Hand genommen wird."
 
In der Folge gründete die engagierte Beraterin zusammen mit dem FRIEDA-Frauenzentrum das Anti-Stalking-Projekt, das noch immer an die Beratungseinrichtung angebunden ist und sich ganz auf die Gewaltform Stalking spezialisiert hat. Neben den Beratungsgesprächen unterstützt Beate Köhler ihre Klientinnen dabei, wieder Normalität in ihr Leben zu bringen, nach Ankern zu suchen – wenn die betroffenen Frauen dies möchten. Dazu gehören auch Behördengänge, um Maßnahmen gegen den Stalker oder die Stalkerin zu ergreifen oder die Angehörigenberatung, um Verständnis im Umfeld der Betroffen zu schaffen.

Mit einfachen Mitteln zu mehr Normalität

Die Beratungsgespräche finden vor allem vor Ort statt. Aber auch per Telefon, E-Mail und sogar per Brief-Post steht die studierte Sozialpädagogin und Fachberaterin für Opferhilfe ihren Klientinnen zur Seite. Und obwohl es keine feste mehrsprachige Beratung gibt und die Beratungsstelle nicht hundertprozentig barrierefrei ist – weggeschickt wurde bisher noch niemand. Zur Not zieht Beate Köhler eine externe Dolmetscherin hinzu. Für Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen fanden sich bisher auch immer Lösungen. Denn das Wichtigste für sie ist, den Frauen zu helfen und ihnen zu zeigen, dass es Mittel und Wege gibt, sich aus der Isolation zu befreien. "Gemeinsam mit der Betroffenen suche ich nach Stabilisatoren in ihrem Umfeld. Was macht sie gern in ihrer Freizeit? Was tut ihr gut?" Häufig sind es ganz einfache Dinge, wie eine besondere Mahlzeit, baden oder Sport treiben.
 
Zusätzlich zu den Beratungen organisiert Beate Köhler einmal im Monat eine Anti-Stalking-Gruppe und einmal im Quartal die Veranstaltungsreihe "Let’s talk about Stalking". "In die Gruppe kommen Frauen, die sich gestalkt fühlen oder die gestalkt werden. Dort tauschen sie sich aus, geben sich gegenseitig Tipps und unterstützen sich." Die Reihe "Let’s talk about Stalking" bringt Betroffene und Interessierte mit Expertinnen und Experten zusammen. "Wir hatten z. B. eine Polizistin oder eine Jugendamtsleiterin zu Gast. Für die Frauen ist es wichtig, Personen aus der behördlichen Praxis Fragen stellen zu können", erzählt sie.

Stalkern und Stalkerinnen Grenzen aufzeigen

In den allermeisten Fällen werden die Frauen, die sich an Beate Köhler wenden, von ihren Ex-Partnern oder Ex-Partnerinnen gestalkt. Durch das Nachstellen wollen sie die gescheiterte Beziehung aufrecht erhalten. Aber auch Menschen aus dem Umfeld der Betroffenen, z. B. eine Arbeitskollegin oder ein Kunde, sogar Verwandte werden zu Täterinnen beziehungsweise Tätern. Dabei sind auf Seiten der Betroffenen und der Nachstellenden alle Altersgruppen vertreten. "Meistens gab es bereits eine Begegnung zwischen den beiden Menschen, Fremde sind eher selten der Stalker oder die Stalkerin. Mit der Digitalisierung nimmt aber auch dies zu", warnt Beate Köhler.
 
Wichtig ist aus ihrer Sicht, dem Nachstellenden unmissverständlich klar zu machen, dass man den Kontakt nicht möchte und standhaft zu bleiben. Außerdem rät sie ihren Klientinnen, im Lebensumfeld Öffentlichkeit zu schaffen. "Sie sollten schauen, wen sie einweihen können, zum Beispiel eine Nachbarin, die mit der Polizei drohen kann, wenn an der Haustür mal wieder Sturm geklingelt wird."
 
Doch selbst wenn es den Frauen gelingt, sich ein stückweit Normalität zurück zu erkämpfen und den Stalker zu ignorieren, bedeutet das nicht, dass das Stalking sofort aufhört. Oftmals müssen rechtliche Schritte eingeleitet werden. Auch hier hilft die Beraterin. "Es gibt ein paar Instrumente, mit denen wir recht erfolgreich sind, zum Beispiel einstweilige Verfügungen oder eine Gefährderansprache bei der Polizei. Oft hilft auch schon ein Brief von einem Anwalt mit offiziellem Briefkopf, um dem Stalker oder der Stalkerin die Grenzen aufzuzeigen."
 
Diese kleinen und großen Erfolgserlebnisse sind es, die Beate Köhler antreiben – wenn das Stalking aufhört, es zu einer Anklage oder sogar zu einer Strafe kommt. "Die Frauen lassen mich oft ganz nah an sich heran. Wenn sie nach intensiven Gesprächen sagen, ‚Es gibt doch einen Ausweg’ und wieder Hoffnung schöpfen, dann ist das ein tolles Gefühl."

Mit der Digitalisierung nimmt auch Cyberstalking zu

Neben diesen allgemeinen Empfehlungen mahnt sie zur Vorsicht im Umgang mit den digitalen Medien. Wem gebe ich meine E-Mail-Adresse? Was poste ich auf Facebook? Denn in den letzten Jahren hat sie eine Veränderung in der Beratungsarbeit festgestellt. Immer seltener begegnen ihr Fälle, in denen ohne digitale Medien gestalkt wird. "Durch die Digitalisierung ist das Stalken raffinierter geworden und wird von den Frauen als allgegenwärtig empfunden", sagt Beate Köhler. "Fast jeder besitzt heutzutage einen Computer. Ein Smartphone oder Handy ist immer parat. Frauen, die ich berate, haben das Gefühl, dass ihr Stalker oder ihre Stalkerin sie immer und überall sehen kann. Durch die neuen technischen Möglichkeiten ist das manchmal auch tatsächlich der Fall." Das hat natürlich Auswirkungen auf die Beratung. Es gibt Fälle, in denen der Stalker oder die Stalkerin besonderes Insiderwissen hat. Als Beraterin muss sie dann darauf hinweisen, dass dies auch am mitgeführten Smartphone liegen kann – eine Gradwanderung, denn zusätzliche Angst verbreiten möchte Beate Köhler dabei nicht. "Im Gespräch mit den Frauen schaue ich sehr genau, wo Angriffsfläche geboten wird."
 
Grundsätzlich rät sie dazu, sich gut zu überlegen, welche Daten man preisgibt und wie man sich im Internet bewegt. Welchen Apps erlaube ich Zugriff auf mein Adressbuch? Wie bezahle ich im Internet? Auch ihre eigene Mediennutzung hat sie geändert. "Ich finde es wichtig, nicht mit dem Klarnamen aufzutreten, und meine Konten kontrolliere ich regelmäßig auf Ungereimtheiten." Ganz auf die Nutzung digitaler Medien zu verzichten, empfiehlt sie ihren Klientinnen jedoch nicht. "Letztlich bringt man sich damit um die Teilhabe an der Gesellschaft. Wenn die Frauen sich isolieren, dann hat der Stalker oder die Stalkerin sie genau da, wo er sie haben will."

Das Anti-Stalking-Projekt ist Teil des FRIEDA-Frauenzentrum e. V. in Berlin. Neben der psychosozialen Beratung und Begleitung organisiert Beate Köhler regelmäßig Veranstaltungen zum Thema Stalking. Weitere Informationen finden Sie unter: www.frieda-frauenzentrum.de/anti-stalking-projekt

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