Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

15.11.2018

"Wenn die eigene Belastungsgrenze überschritten wird" – Im Gespräch mit Corinne Herrmann, Psychologin der Kur + Reha GmbH

Mütter, die körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt erfahren haben, brauchen oftmals therapeutische Hilfe. Die Mutter-Kind-Klinik in der Rehaklinik Feldberg unterstützt betroffene Frauen mit Gruppen- und Einzelgesprächen sowie therapeutischen Angeboten. Ziel ist es, die Frauen zu stabilisieren und dabei zu unterstützen, wieder zu sich zu finden und die Bindung zu ihren Kindern zu stärken. Da die Verarbeitung von Gewalterfahrung nicht mit einem dreiwöchigen Kuraufenthalt abgeschlossen ist, legen die Psychologin Corinne Herrmann und Ihre Kolleginnen und Kollegen der Kur + Reha GmbH ein Hauptaugenmerk auf die Nachversorgung der Patientinnen – beispielsweise im Rahmen einer Psychotherapie.

Was kennzeichnet Frauen, die eine Mutter-Kind-Kur machen? Mit welchen typischen Krankheitsbildern oder Bedarfen kommen diese Frauen zu Ihnen?

Die meisten Frauen kommen mit einer ausgeprägten Erschöpfungssymptomatik zu uns. Viele von ihnen leiden an depressiven oder (psycho-)somatischen Störungsbildern, Ängsten oder Panikstörungen. Sie fühlen sich überlastet und genügen ihren eigenen – oftmals überhöhten – Ansprüchen an sich selbst nicht mehr. Das führt zu Stress und verstärkt bei den Frauen das Gefühl zu versagen. Eigene Belastungsgrenzen werden überschritten und erste körperliche und psychische Symptome nicht ernst genommen. In den meisten Fällen wirkt sich eine reduzierte Selbstfürsorge langfristig auf die ganze Familie aus, beispielsweise in Form von Gereiztheit gegenüber den Kindern.  Schuldgefühle und Selbstzweifel sind dann die Folge. Schnell entsteht ein "Teufelskreis", der einen zusätzlichen Stressfaktor darstellt.

 

Laut einer Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) aus dem Jahr 2014 haben 35 Prozent der Frauen in Deutschland schon einmal körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. Besonders häufig ist häusliche Gewalt. Decken sich diese Zahlen mit dem, was Sie in Ihrem Berufsalltag erleben? Anders gefragt: Ist Gewalt gegen Frauen ein relevantes Thema in den Therapiegesprächen?

Ja, ein Teil unserer Patientinnen berichtet über gewalttätige Beziehungserfahrungen, oft mit den Vätern ihrer Kinder. Auch wenn diese in den meisten Fällen bereits in der Vergangenheit liegen, beeinflussen sie die Lebensqualität der Frauen fortwährend. Vor allem, da eine gemeinsame Elternschaft die Frauen in besonderem Maße an ihre ehemaligen Partner bindet.
Andere Frauen haben bereits in der Kindheit Grenzüberschreitungen erlebt. Diese wirken sich dann zusätzlich ungünstig auf die aktuelle Partnerschaft aus, prägen die eigene Identität und beeinflussen das eigene intuitive Elternverhalten.  
Weitaus seltener befinden sich die Mütter noch in akuten Bedrohungssituationen, wenn sie zu uns kommen. Je nach Ausgangssituation und Patientin sind die Ziele der Behandlung dann sehr unterschiedlich.

 

Wie helfen Sie Frauen, die zum Beispiel körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt durch ihren Partner erleben? Können Sie dies an einem Beispiel darstellen?

Als Therapeuten geht es uns vor allem darum, Patientinnen einen geschützten Raum in unserem Haus zu bieten. In der sehr kurzen Zeit, in der sie bei uns sind, wollen wir sie vor allem stabilisieren. Wir unterstützen sie dabei, wieder (mehr) zu sich zu finden, eigene Kräfte aufzubauen, Symptome zu reduzieren und die Bindung zu ihren Kindern zu stärken. Als Einrichtung sind wir dem Muttergenesungswerk unterstellt. So können wir belasteten Frauen ein Setting anbieten, in welchem sie Frauen mit ähnlichen Erfahrungen treffen und an Therapiegruppen teilnehmen.

Fast immer bestärken wir Frauen darin, mit ihren Erfahrungen nicht alleine zu bleiben und externe Beratungs- und Unterstützungsangebote zu nutzen; dies möglichst niederschwellig. Da viele Mütter die Schwelle "nach draußen" zunächst nicht nehmen können oder wollen, empfehlen wir häufig, sich zunächst telefonische Unterstützung z. B. beim Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" zu holen. Diese Telefonkontakte können oftmals schon während der Kur realisiert werden.

Wenn wir zudem feststellen, dass Patientinnen unter einer psychischen Erkrankung leiden, raten wir zu einer Psychotherapie – idealerweise bei einem Therapeuten mit traumaspezifischer Zusatzqualifikation. Manchmal empfehlen wir auch eine Körpertherapie oder eine stationäre Behandlung – mit oder ohne Kind.

 

Gerade vielen Müttern, die von Gewalt betroffen sind, fällt es besonders schwer, sich Hilfe zu suchen. Welche Unterstützung ist für diese Frauen – und ihre Kinder – hilfreich?

Das Wichtigste in der Begleitung von Frauen mit Gewalterfahrung ist die Zusicherung von Sicherheit. Deshalb klären wir immer ab, ob aktuell noch eine Gefahr für die Patientin und ihre Kinder besteht. Wege der Veränderung sind häufig mit sehr ambivalenten Anteilen und Einstellungen der Mütter verbunden. Unsere Aufgabe ist es daher meistens, nächste konkrete Schritte mit den Müttern zu planen, mögen sie noch so klein sein. Vielen Frauen hilft es, bereits in der Kur Handlungspläne zu erarbeiten und Unterstützungsangebote zu aktivieren. Auf diese können sie dann direkt nach der Kur zurückgreifen.

 

Häufig ist eine Kur ja eine Art dreiwöchiger "Ausnahmezustand", in dem Mütter etwas Abstand zu ihrem Alltag gewinnen können. Welche Rolle spielen Angebote, die die Frauen auch nach ihrem Kuraufenthalt nutzen können – wie das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"?

Unser Augenmerk liegt natürlich auch auf der Nachsorge der Patientinnen. Eine Kur ist zu kurz, um die Erfahrungen von häuslicher Gewalt final zu verarbeiten. Eine gemeinsame Elternschaft führt oft dazu, dass sich die Frauen auch nach der Kur weiter mit ihren Erfahrungen auseinandersetzen müssen. Manchmal gibt es noch Streitigkeiten, Gerichtsverfahren oder Rechte des Vaters, die beachtet werden müssen. Manchmal liegt es auch an der Entstehung einer psychischen Folgeerkrankung oder auch daran, dass die Kinder dem Vater optisch ähneln, nach diesem fragen oder sich den Vater "zurück wünschen". So oder so zeichnet sich fast immer ein längerer Weg ab, den die Patientinnen gehen müssen und den wir gut vorbereiten wollen. Hierzu empfehlen wir meistens niederschwellige Beratungsangeboten, gerne auch die Nummer des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen" oder eine Psychotherapie.

Corinne Herrmann leitet den psychosozialen Bereich der Rehaklinik Feldberg. Sie führt Aufnahmegespräche mit erkrankten Frauen, kümmert sich um diagnostische Fragestellungen und leitet Gruppen- und Einzelgespräche. Als Bereichsleiterin ist sie außerdem für konzeptuelle Fragen, die Sicherstellung von Supervision oder die Weiterentwicklung von Schwerpunktkuren zuständig. Die Rehaklinik Feldberg gehört zur Kur + Reha GmbH und damit zum Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg.

Zum Seitenanfang springen