Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

20.11.2019

Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen – Wie aggressive Männer lernen, Konflikten gewaltfrei zu begegnen

Häusliche Gewalt richtet sich vor allem gegen Frauen. Täter sind überwiegend Männer. Genauso, wie es Frauen gelingen kann, sich aus der Gewalt zu lösen, können Männer mit externer Unterstützung daran arbeiten, ihr aggressives Verhalten zu ändern. Täterprogramme können dabei helfen – sofern die Männer bereit sind, sich darauf einzulassen. Für diese herausfordernde Arbeit entwickelt die Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt (BAG TäHG) Qualitätsstandards.

"Täterarbeit hat keine Lobby und trifft auf viele Vorurteile", sagt Julia Reinhardt. "Es ist keine Einladung an die Täter, sich auszuheulen. Sie können hier lernen, dass man auf Konflikte in der Paarbeziehung auch ohne Gewalt reagieren kann." Reinhardt leitet das Koordinationsbüro Täterarbeit Rheinland-Pfalz und ist stellvertretende Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt.

Ihre Arbeit ist ein wichtiger Baustein des Opferschutzes. Die Anbieter von Täterprogrammen sind vernetzt mit Institutionen wie Polizei, Justiz, Frauenberatungsstellen und anderen Hilfseinrichtungen. "Fast alle Täter haben in ihrer Kindheit selbst Gewalt erlebt, entweder am eigenen Leib oder zwischen den Eltern", sagt Reinhardt. "Damit müssen wir umgehen. Es ist aber keine Rechtfertigung, selbst gewalttätig zu werden. Wir machen jedem Teilnehmer klar, dass er Verantwortung für die eigenen Handlungen übernehmen muss."

Täter müssen ihre Verleugnungen reflektieren

Viele Täter sehen sich selbst als Opfer. Aufgrund eigener Gewalterfahrungen oder weil sie das Verhalten der Partnerin als Provokation betrachten, auf die sie nicht anders als mit Gewalt reagieren können. "Ihre Verleugnungen, Rechtfertigungen, Entschuldigungen und Schuldzuweisungen sollen aufgedeckt und reflektiert werden", heißt es dazu in dem von der Bundesarbeitsgemeinschaft erarbeiteten Standard "Arbeiten mit Tätern in Fällen häuslicher Gewalt".

Nach dem Standard ist ein Gruppentraining, an dem fünf bis zehn Männer teilnehmen, Kern des Programms. Julia Reinhardt, die auch selbst solche Trainings durchführt, erklärt, dass es für Teilnehmer üblicherweise drei Zugangswege gibt. Ein Teil der Gruppe wird von der Justiz zur Teilnahme verpflichtet, etwa als Bewährungsauflage. Ein zweiter Teil kommt aufgrund einer Empfehlung, zum Beispiel durch einen Therapeuten oder das Jugendamt – etwa, wenn der Betroffene im Rechtsstreit um das Umgangsrecht mit seinen Kindern befindet. Ein dritter Teil sind sogenannte Selbstmelder, die aus eigenem Antrieb etwas gegen ihren Hang zu Gewalt unternehmen wollen. Reinhardt zufolge sind die Gruppen in etwa gleich groß.

Lernen, sich in die betroffene Partnerin hineinzuversetzen

In Vorgesprächen wird zunächst geklärt, ob die Teilnehmer für das soziale Training geeignet sind. Zu den Voraussetzungen gehört, dass sie ihre Tat eingestehen, ein Mindestmaß an Bereitschaft zeigen, mitzuarbeiten und gruppenfähig sind. Auch Drogenabhängigkeit, psychische Erkrankungen oder mangelnde Sprachkenntnisse können ein Ausschlusskriterium sein. Oberstes Ziel ist es, die Verhaltensmuster, die immer wieder zu Gewalttaten führen, aufzubrechen. Die Männer sollen ihr Risiko erkennen, Wiederholungstaten zu begehen, und vorbeugende Maßnahmen ergreifen können.

Ein Teil des auf sechs Monate angelegten Programms, bei dem sich die Teilnehmer jede Woche treffen, dreht sich um Selbstwahrnehmung und -kontrolle. Die Täter sollen in die Lage versetzt werden, eigene Grenzen und die Grenzen anderer zu erkennen und zu akzeptieren. Außerdem sollen sie Empathie entfalten: Lernen, sich in die Lage der von Gewalt betroffenen Partnerin und der mitbetroffenen Kinder hineinversetzen. Schließlich geht es darum, dass sie Verhaltensweisen entwickeln, mit denen sie Konflikte künftig gewaltfrei lösen.

Studien zeigen, dass Täterarbeit das Rückfallrisiko senkt

"Oft geht es erst mal darum, einen ganz praktischen Notfallplan zu entwickeln", berichtet Reinhardt. "Was tue ich, wenn sich ein Konflikt zuspitzt und ich merke, dass ich aggressiv werde? Zu wem kann ich gehen? Mit wem kann ich reden? Was tue ich, wenn ich die Person nicht sofort erreiche?" Oft fehle den Teilnehmern ein Ansprechpartner, mit dem sie in schwierigen Situationen reden könnten, sagt Reinhardt. Manchmal entwickele sich in der Gruppe eine positive Dynamik und die Teilnehmer unterstützten sich in schwierigen Situationen gegenseitig: "Du hast Kummer? Komm, wir gehen eine Runde um den Block."

Wie erfolgreich Täterarbeit im Bereich häuslicher Gewalt ist, ist bisher wenig erforscht. Allerdings liefern durchgeführte Evaluationen und wissenschaftliche Studien deutliche Hinweise darauf, dass das Rückfallrisiko für Partnergewalt durch Programme nach dem Standard der BAG TäHG gesenkt wurde, und zwar auch aus Sicht der betroffenen Frauen. Allerdings lässt sich das nur für den Teil der Gruppe sagen, die bis zum Ende mitmachen: Etwa jeder vierte bis fünfte Teilnehmer schließt das Training nicht ab.

Um ihre Arbeit auf hohem qualitativen Niveau fortsetzen zu können, setzt sich die Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt für eine adäquate Finanzierung durch die öffentliche Hand ein. "Es gibt große Unterschiede von Bundesland zu Bundesland. In Rheinland-Pfalz etwa übernimmt das Land 90 Prozent der Kosten, in anderen Bundesländern müssen die Teilnehmer einen größeren Anteil selbst tragen", sagt Julia Reinhardt. Die Finanzierung der Täterarbeit dürfe nicht auf Kosten der Frauenunterstützungsarbeit erfolgen, betont Reinhardt. "Aber gute Täterarbeit ist Opferschutz und sollte daher Teil der Maßnahmen sein, um die Istanbul-Konvention* in Deutschland umzusetzen."

* Istanbul-Konvention: Das 2011 geschlossene Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Es trat 2014 in Kraft und wurde 2017 von Deutschland ratifiziert.

Foto oben: ©adobestock
Foto links: ©Julia Reinhardt

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