Unter Gewalt im Namen der "Ehre" werden gewalttätige Handlungen verstanden, die Täter damit begründen, die „Familienehre“ aufrechterhalten oder wiederherstellen zu wollen. Diese Form der Gewalt beginnt oftmals mit emotionalem Druck und Erpressung. Sie kann darüber hinaus aber auch Formen von körperlicher und sexualisierter Gewalt annehmen, bis hin zu Zwangsheirat und Tötungen , die als „Ehrenmorde“ bezeichnet werden.
Gewalt im Namen der „Ehre“ wird in der Regel in stark patriarchalisch strukturierten Familien und Gesellschaften praktiziert und kann in allen sozialen Schichten auftreten. Der Begriff der „Ehre“ oder „Familienehre“ wird dabei in verschiedenen Kulturkreisen und Ländern unterschiedlich definiert und ist nicht gebunden an eine bestimmte Religion oder Kultur.
Zumeist herrscht ein Weltbild vor, bei dem die Ehre abhängig ist vom "richtigen" Verhalten der weiblichen Familienmitglieder. Frauen und Mädchen werden in dieser Vorstellung gewissermaßen als Besitz des Mannes angesehen. Wenn bekannt wird, dass ein weibliches Familienmitglied gegen die vorherrschenden Normen verstößt oder verstoßen hat, geht dies mit dem Verlust der vermeintlichen Familienehre einher. Das gesellschaftliche Ansehen der Familie gilt als zerstört.
Besonders gefährdet sind Mädchen ab der Pubertät. Ab diesem Zeitpunkt entwickelt sich ihre Sexualität und sie können beispielsweise durch eine voreheliche Beziehung die "Ehre" der Familie gefährden. Erwachsene Frauen zählen in jedem Alter zu potentiell Betroffenen. Zum Beispiel dann, wenn sie sich scheiden lassen wollen, außerehelich schwanger werden oder in anderer Weise gegen die Tradition verstoßen.
Auch im Falle einer Vergewaltigung oder sexuellen Missbrauchs sehen manche Familien ihre „Ehre“ durch die Frau oder das Mädchen verletzt. In ihrem Verständnis sind die Betroffenen nicht Opfer der Tat, vielmehr wird ihnen unterstellt, sie haben den Mann durch "unehrenhaftes" Verhalten provoziert. Durch eine Bestrafung der weiblichen Familienangehörigen soll das gesellschaftliche Ansehen wiederhergestellt werden.
Meist üben Eltern, Großeltern und Geschwister massiven psychischen Druck und ständige Kontrolle auf die Mädchen und Frauen aus, wenn diese sich anderes verhalten, als es von ihnen erwartet wird. Viele der Mädchen und Frauen werden unter diesen Umständen zwangsverheiratet oder gezwungen, dauerhaft im Ausland zu leben. In besonders schweren Fällen können die Gewalthandlungen im sogenannten Ehrenmord gipfeln. Die Mehrheit der Täter ist männlich, meistens handelt es sich um die Väter oder Brüder der Betroffenen. Häufig sind mehrere Mitglieder einer Familie, auch Frauen, in die Planung und Ausführung miteinbezogen.
Die Beraterinnen des Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen unterstützen Betroffene von Gewalt im Namen der "Ehre" und stellen den Kontakt zu Unterstützungseinrichtungen vor Ort her, bei denen sie langfristige Hilfe finden. Auch Angehörige, Freundinnen und Freunde sowie Fachkräfte, die einen Verdacht auf Gewalt in Namen der „Ehre“ in ihrem Umfeld haben, können sich an das Hilfetelefon wenden.