Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

02.04.2020

"Die Täter können Professoren oder Rechtsanwälte sein" – Der Verein "Frauen helfen Frauen" bei Bad Homburg unterstützt Frauen, die Partnergewalt erleben – auch die sehr wohlhabenden unter ihnen.

Gewalt gegen Frauen kommt überall vor. Das zeigen auch die Erfahrungen von Carla Horstkamp und Anja Körneke vom Verein "Frauen helfen Frauen – HTK e. V." im hessischen Oberursel bei Bad Homburg. Der Verein betreibt eine Beratungs- und Interventionsstelle und ein Frauenhaus. Die Region Hochtaunuskreis, nördlich von Frankfurt am Main, gilt als eine der wohlhabendsten Gegenden Deutschlands. Hier stehen die Villen von Bankerinnen und Bankern sowie anderen Managerinnen und Managern, die in der Frankfurter City ihr Geld verdienen. Auch in dieser Umgebung erleben Frauen Gewalt.

Die Täter können Manager sein, Professoren oder Rechtsanwälte

 „Unsere Klientel ist quer gestreut. Zu uns kommen sowohl Frauen, die in einem Hartz-IV-Haushalt leben. Aber es kommen eben auch Frauen, die einen gut bezahlten Beruf ausüben“, sagt Carla Horstkamp. „Auch unter diesen Frauen gibt es welche, die Partnergewalt erleben. Die Täter können Manager sein, Professoren oder Rechtsanwälte.“

Grundsätzlich ergeht es wohlhabenden Frauen nicht anders als weniger gut situierten Frauen. Die Gewalt schleicht sich meist im Laufe der Zeit in die Beziehung ein. Auf Gewaltausbrüche folgen Entschuldigungsversuche und Reuebekundungen, ruhigere Phasen und dann die erneute Eskalation. Viele Frauen schämen sich zu sehr, um sich anderen gegenüber zu öffnen. "Das ist bei ärmeren Frauen genauso wie bei wohlhabenden", stellt Carla Horstkamp fest.

Manchmal muss eine Frau aus der Villa ins Frauenhaus ziehen

Wie sich die Beziehung entwickelt, hängt häufig davon ab, welche Ressourcen der Frau zur Verfügung stehen. "Wer einen eigenen Job hat, viele soziale Kontakte und eigenes Geld,  hat niedrigere Hürden zu überwinden, sich zu trennen und eine neue Existenz aufzubauen", sagt Beraterin Anja Körneke. "Aber nicht jede Frau, die in gut situierten Verhältnissen  lebt, verfügt über umfangreiche eigene Mittel. Viele Frauen, deren Männer sehr gut verdienen, verzichten auf eine eigene Karriere und kümmern sich um Haushalt und Kinder.“ Sie hätten zwar einen hohen Lebensstandard, seien aber auf das Geld des Partners angewiesen und hätten nicht unbedingt die Mittel, sich eine eigene Wohnung zu leisten.

"Im Einzelfall kommt es dann vor, dass eine Frau aus der Villa ins Frauenhaus ziehen muss", berichtet Anja Körneke. "Eine Betroffene haben wir unter Polizeischutz in eine riesige Villa eskortiert, aus der sie persönliche Gegenstände abgeholt hat. Danach haben wir sie ins Frauenhaus begleitet." Der Frau sei es schwergefallen, sich an das Leben dort mit Putzdiensten und anderen Verpflichtungen zu gewöhnen, sagt Körneke. "Dennoch erschien ihr das weitaus besser, als sich weiterhin der Gewalt ihres Partners auszusetzen."

Die Täter können sich gut verstellen und erscheinen reflektiert

Die Angst vor sozialem Abstieg und Ansehensverlust bringt einige Frauen dazu, trotz Gewalt in der Beziehung zu bleiben. Auch Kinder können ein Grund sein, den Mann nicht zu verlassen. "Im Beratungsgespräch erzählen die Frauen, dass sie Angst haben, dass sie den Kindern alleine nicht den gleichen Lebensstandard bieten können wie der Mann", berichtet Carla Horstkamp. Zudem seien Männer, die einen anspruchsvollen, gut bezahlten Job ausübten, oft auch besonders geschickt darin, ihre Frauen zu manipulieren und einzuschüchtern. Im Freundes- und Bekanntenkreis gelinge es ihnen, als höflicher, zuvorkommender Mensch zu erscheinen, dem man Gewaltexzesse nicht zutraut. "Die Frauen berichten, dass die Männer narzisstisch und Ich-zentriert sind. Sie haben gelernt, sich zu verstellen", so Anja Körneke. Kinder werden dazu missbraucht, die Frauen zu erpressen, erklärt die Beraterin: "Die Täter drohen: 'Wenn Du gehst, wird dir keiner glauben und die Kinder bleiben bei mir!'"

Wichtig für die Beraterinnen ist es, gemeinsam mit den betroffenen Frauen über Wege nachzudenken, die sie aus der Gewalt führen können. Häufig ist ein erster Schritt die räumliche Trennung vom Täter. Gibt es Freundinnen, Freunde oder Verwandte, bei denen die Frau unterkommen kann? Ist vorübergehendes Wohnen im Frauenhaus eine Option? Hat die Frau die Möglichkeit, eine eigene Wohnung anzumieten?

Gerade für prominente Frauen ist die Anonymität der Beratungssituation wichtig

In jedem Fall ermutigen die beiden Beraterinnen von "Frauen helfen Frauen" Betroffene dazu, das Erlebte nicht nur mit sich selbst auszumachen. "Mittlerweile gibt es ein gutes Netzwerk von Beratungsstellen und Hilfeeinrichtungen, bei denen Frauen deutschlandweit Unterstützung finden. Sie stehen gut situierten Frauen genauso offen wie allen anderen", sagt Carla Horstkamp. "Auch das Hilfetelefon 'Gewalt gegen Frauen' gehört als wichtige Anlaufstelle, an die sich Betroffene anonym und rund um die Uhr wenden können, dazu."

Eine Beraterin des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen" berichtet: "Gerade für Betroffene, die in irgendeiner Form in der Öffentlichkeit stehen, ist unser Angebot durch die gewährleistete Anonymität ideal. Im Erstgespräch kann die Anruferin ermutigt und unterstützt werden, ihre Situation zu reflektieren. Auch erste mögliche Schritte aus der Paargewalt können besprochen werden." Die Weitervermittlung an Beratungsstellen vor Ort sei dagegen oft schwierig, wenn die Anruferin zum Beispiel als Anwältin, Ärztin oder Pädagogin arbeite. "Man kennt mich hier, ich kann unmöglich zu einer Beratungsstelle", heißt es dann. Wenn überhaupt, werde dann eher eine Beratungsstelle mit längerer Anfahrtszeit in Betracht gezogen. 

Aus Scham scheuen viele Frauen davor zurück, Hilfe in Anspruch zu nehmen

Genau wie die beiden Beraterinnen von "Frauen helfen Frauen" weiß die Mitarbeiterin des Hilfetelefons, dass die Anruferinnen zunächst eine hohe Hemmschwelle überwinden müssen, um sich auf eine Beratung einzulassen. "Meine Form der Intervention auf einen Satz wie ‚Ich verstehe gar nicht, wie mir das passieren konnte‘, ist, der Betroffenen klar zu machen, dass das Erleben von häuslicher Gewalt nichts mit mangelnder Intelligenz oder Bildung zu tun hat und auch keine Frage der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht ist."

Auch die Scham, sich an die Polizei zu wenden, sei bei gut situierten Frauen zum Teil besonders stark ausgeprägt. "Denn wenn diese vor dem Haus vorfährt, sehen die Nachbarn direkt, wen es betrifft", sagt die Beraterin. "In solchen Fällen stelle ich den Betroffenen meist die Frage, was für ihr eigenes Leben relevanter erscheint: ihre eigene Sicherheit und Lebensqualität, oder die Aufrechterhaltung eines Bildes, dass sich andere Menschen von ihnen gemacht haben."

Weitere Informationen zum Verein "Frauen helfen Frauen - HTK e.V." in Oberursel finden Sie hier: www.frauenhaus-oberursel.de

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