Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

15.12.2020

Es fehlen Beratungsangebote für gehörlose Frauen

Ein Interview mit der Aktivistin Stefanie Schmidt

Stefanie Schmidt, die selbst gehörlos ist, setzt sich für die Interessen gehörloser Menschen ein. Im Interview gibt sie Einblicke in das Lebensumfeld gehörloser Frauen, die von Gewalt betroffenen sind und die ihrer Ansicht nach spezielle Unterstützung und Beratung benötigen.

Frau Schmidt, wie sprechen Sie am liebsten mit anderen Menschen?

Das ist ganz unterschiedlich. Mit Hörenden spreche ich normal auf Deutsch, mit Gehörlosen in Deutscher Gebärdensprache. Auf Veranstaltungen ist beides möglich. Ich bin flexibel!

Und wie machen Sie das im Internet?

Ich habe drei verschiedene Handys. Eins für die Arbeit, eins für die Kontakte und eins privat. Ich nutze Facebook, Instagram, Twitter, WhatsApp oder Skype. Manchmal blinken alle Handys gleichzeitig…

Sie haben die Mitmachaktion des Hilfetelefons unterstützt. Warum?

Weil ich selbst Gewalt erlebt habe und keine Hilfe bekommen habe. Ich wusste nicht, wo ich mich hinwenden kann. Auch im Internet habe ich damals nichts gefunden. Dann habe ich mit anderen Menschen geredet, aber das war schwierig. Manche haben gesagt, dass ich selbst schuld daran bin. Das hat mich sehr geärgert.

Wie haben Sie vom Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ erfahren?

Es war vor zwei Jahren. Ich habe einen Selbstverteidigungskurs für Menschen mit Behinderung gemacht. Der Kursleiter hat mir einen Flyer des Hilfetelefons gegeben. Ich habe die Homepage angeschaut und gesehen, dass dort eine Beratung in Gebärdensprache möglich ist. Das war für mich der Zeitpunkt, aktiv zu werden.

Frauen mit Hörbehinderung erleben mehr Gewalt als andere Frauen. Warum ist das so?

Hörende Männer meinen oft, dass gehörlose Frauen dumm sind. Was natürlich nicht stimmt. Die Männer denken dann: Sie kann ja sowieso nichts sagen, wenn ich ihr etwas antue. Und die Frauen sind oft sehr unsicher. Sie wissen nicht, was normal ist und wohin sie sich wenden können. Es gibt keine Frauenberatungsstellen mit Gebärdensprache in der Nähe. Viele taube Frauen sprechen mich deswegen an.

Was kann man tun, damit sich das ändert?

Frauen müssen sich mit anderen Frauen in ganz Deutschland austauschen. Dann können sie Unsicherheiten abbauen. Es gibt nur wenig Beratungsstellen für gehörlose Frauen. Deswegen müssen sich Gehörlose gegenseitig stärken. Der Austausch untereinander ist sehr wichtig.

Das Hilfetelefon bietet Beratungen in Gebärdensprache und im Chat an. Was halten Sie davon?

Viele Gehörlose haben Probleme mit der deutschen Schrift und Grammatik. Die Sprachkompetenzen sind sehr unterschiedlich – das hat nichts mit der Intelligenz zu tun. Deswegen ist die Gebärdensprache mit Webcam eine gute Lösung. Die Anonymität spielt hier keine so große Rolle.

Soll das Hilfetelefon noch mehr für Frauen mit Hörbehinderung tun?

Es funktioniert gut, aber man braucht auch einen Plan B. Knackpunkt ist die Weitervermittlung. Wo gibt es örtliche Beratungsangebote für gehörlose Frauen? Frauenhäuser haben oft keine Möglichkeit für Gebärdensprache.

Sie haben Kontakt zu anderen Gehörlosen. Wissen diese Personen, dass es das Hilfetelefon gibt?

Die meisten wissen es noch nicht. Es gibt insgesamt zu wenig Informationen. Man könnte über soziale Medien wie Facebook noch mehr machen. Oder mehr Plakate mit dem Handsymbol für Gebärdensprache aufhängen. Eine Idee ist auch, in Gehörlosenschulen zu gehen. Lehrpersonal und ältere Schülerinnen und Schüler könnten eingebunden werden und über das Hilfetelefon informieren.

Was kann man gemeinsam erreichen?

Meine Idee ist, einen speziellen Gehörlosenverein zu gründen. Er soll dann eine Abteilung für Opferschutz haben. Die Bezugspersonen und Frauenbeauftragten begleiten dann Menschen in ihrem Umfeld.

Was ist Ihr größter Wunsch für die Zukunft?

Ich wünsche mir Gleichberechtigung überall. Und eine spezielle Frauenberatung in Gebärdensprache mit viel Hintergrundwissen über das Leben Gehörloser.

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bietet Beratung in Deutscher Gebärdensprache an. Rund um die Uhr können Gehörlose und Frauen mit Hörbeeinträchtigung über den Tess-Relay-Dienst mit den Beraterinnen kommunizieren. Gebärden- und Sprachdolmetscherinnen übersetzen die Anliegen der Hilfesuchenden; alle Gespräche sind anonym und streng vertraulich. Technische Voraussetzung dafür ist ein internetfähiger Computer mit Kamera und das Programm des Tess-Relay-Diensts.

Informationen zur Nutzung der Beratung in Gebärdensprache

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