Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

02.04.2020

Von der Frauenärztin bis zum Flüchtlingsberater – zahlreiche Fachkräfte wenden sich an das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

Manchmal sind es sehr konkrete Fragen, die Fachkräfte an die Beraterinnen des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen" richten. "Wo können wir sie hinbringen?", fragt etwa eine Polizistin, die eine Frau zu einer Schutzunterkunft begleiten will, aber bereits an mehreren Adressen abgewiesen wurde, weil diese überfüllt waren. In vielen Fällen können die Beraterinnen des Hilfetelefons nach einer Recherche in ihrer Datenbank und zahlreichen Anrufen in Schutzeinrichtungen weiterhelfen. Doch wenn sich Fachpersonal an das Hilfetelefon wendet, geht es nicht immer um konkrete Auskünfte. Ein anderes wichtiges Motiv für eine Kontaktaufnahme: Das eigene Handeln zu reflektieren.

Viele wollen über ihre eigene Vorgehensweise sprechen

"Reflektionsgespräche machen rund 80 Prozent der Kontakte mit Fachkräften aus", sagt Lysann Susanne Häusler, Fachbereichsleiterin des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen". "Der Umgang mit dem Thema Gewalt gegen Frauen stellt uns alle vor große Herausforderungen. Das gilt für unsere geschulten Beraterinnen, aber noch mehr für Menschen, die mit dem Thema nicht täglich konfrontiert sind." Fachkräfte aus ganz unterschiedlichen Institutionen melden sich beim Hilfetelefon: Dazu gehören die Polizei, das Gesundheitswesen, Schulen sowie Einrichtungen für Flüchtlinge und Frauenberatungsstellen. Alle diese Anrufe – oder Kontaktaufnahmen per E-Mail – seien sehr willkommen, betont Häusler: "Denn die Fachkräfte beschäftigen sich mit sehr unterschiedlichen Fragestellungen und erweitern damit auch unseren Blickwinkel. Für unsere Beraterinnen ist es eine positive Erfahrung, sich mit anderen Fachkräften auszutauschen und ihr Wissen weitergeben zu können."

Über 9.000 Beratungen von Fachkräften seit 2013

Um optimal auf die Bedürfnisse der Anrufenden eingehen zu können, führen die Beraterinnen des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen" eine anonymisierte Statistik. Unter anderem wird erfasst, ob es sich um direkt Betroffene handelt, Menschen aus deren Umfeld oder um Fachkräfte, die im Rahmen ihrer Arbeit Betroffenen begegnen. Rund 185.000 Beratungskontakte zählt das Hilfetelefon seit seinem Start 2013. 9.110 davon fielen unter die Rubrik "Fachkräfte". "Das sind aber nur diejenigen Anruferinnen und Anrufer, die explizit über ihre fachliche Qualifikation gesprochen haben", so Häusler.

Häusliche Gewalt ist der häufigste Grund für die Kontaktaufnahme

Thematisch steht bei den Kontaktaufnahmen der Fachkräfte das Thema häusliche Gewalt an erster Stelle – wie auch bei den Beratungskontakten insgesamt. In der Statistik folgen sexualisierte, physische und psychische Gewalt. "Häufig geht es darum, dass die Fachkraft über eine Intervention nachdenkt, weil sie die Vermutung hat, dass eine Frau von Gewalt betroffen ist", berichtet Häusler. Oft hätten die Anrufenden bereits eine Idee, wie sie dabei vorgehen wollen. "Meist wollen sie sich rückversichern, ob die eigene Vorgehensweise angemessen ist, oder sie fragen unsere Beraterinnen, wie sie an ihrer Stelle vorgehen würden."

Spezielle Fragen erreichen die Beraterinnen des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen" aus dem Gesundheitswesen. Hier kann sich zum Beispiel eine Assistenzärztin auch mal mitten in der Nacht melden und sich erkundigen, worauf sie achten muss, wenn eine Patientin von einer Vergewaltigung berichtet. Wie muss die Ärztin etwa ihre Untersuchungsergebnisse dokumentieren, damit diese bei einem Gerichtsverfahren als Beweismittel verwendet werden können? Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe haben andere Fachfragen. Hat zum Beispiel eine Frau, die auf ihrer Flucht aus dem Heimatland sexuelle Gewalt erlebt hat, besonderen Schutzanspruch? "Damit unsere Beraterinnen auch solche Fragen beantworten können, die oft in Zusammenhang mit dem Asylrecht stehen, werden sie speziell geschult", berichtet Häusler. Bei sehr speziellen juristischen, medizinischen oder finanziellen Fragen verweisen die Beraterinnen des Hilfetelefons an entsprechende Stellen weiter, um sicherzustellen, dass die Anrufenden eine  fundierte Beratung bekommen können. Dies können beispielsweise die Rechtsanwaltskammer, Migrationsberatungsstellen, Ärztinnen und Ärzte oder eine Fachberatungsstelle vor Ort sein.

Eine drohende Zwangsheirat kann Grund für einen Anruf sein

Lehrkräfte wenden sich ebenfalls häufig an das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen", wenn sie nicht weiterwissen. Ein Beispiel: Ein Lehrer hat Hinweise auf eine bevorstehende Zwangsheirat erhalten, die ihm aber nicht eindeutig genug erscheinen, um die Polizei einzuschalten. Die betroffene Schülerin will nicht offen darüber reden. "In solch einem Fall würden wir mit dem Lehrer die Handlungsoptionen besprechen, die ihm zur Verfügung stehen. Wie kann er zum Beispiel mehr über die Situation der Schülerin erfahren? Wie könnte gegebenenfalls eine Intervention aussehen?", sagt die Fachbereichsleiterin des Hilfetelefons.

Frauen mit Behinderung sind zwei- bis dreimal häufiger von sexueller Gewalt betroffen als der Durchschnitt der Frauen. Das Hilfetelefon erhält daher auch Anrufe aus Behindertenwerkstätten oder Wohngruppen für Menschen mit Beeinträchtigungen, allerdings nicht auffällig viele. "Das liegt sicher nicht daran, dass es wenige Vorkommnisse gibt", erklärt Häusler. Oft mangele es einfach an Kapazitäten, Hinweisen nachzugehen, da Mitarbeitende in den Einrichtungen überlastet seien. "Umso wichtiger ist es, dass wir mit Fachkräfte, die dort arbeiten, ins Gespräch kommen. Diese können dann in ihrer jeweiligen Einrichtung die Kolleginnen und Kollegen für das Thema sensibilisieren."

"Bei der Polizei hat sich viel getan"

Generell seien heute mehr Fachkräfte aufgeschlossen für einen offenen Umgang mit dem Thema Gewalt gegen Frauen als früher. "Gerade bei der Polizei hat sich seit Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes 2002 viel verändert", betont Lysann Susanne Häusler. "Häusliche Gewalt wurde früher tabuisiert und nicht weiterverfolgt. Heute scheuen sich Polizistinnen und Polizisten nicht, unsere Beraterinnen zu kontaktieren, wenn sie mit einem solchen Fall konfrontiert sind."

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