Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

24.06.2020

"Die Arbeit der Beraterinnen verdient sehr viel Respekt" – Autorin Julia Korbik über ihre Kurzgeschichte für das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

Die Autorin und Journalistin Julia Korbik schreibt über Feminismus, Politik und Popkultur. Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" hat sie eingeladen, eine Geschichte über Menschen aus dem Umfeld gewaltbetroffener Frauen zu schreiben. Hier erzählt sie, warum sie den Auftrag gerne angenommen hat, was Feminismus in der Kanzlerinnendemokratie für sie bedeutet und was Literatur gegen Gewalt bewirken kann.

Frau Korbik, Sie schreiben eine Kurzgeschichte für das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen". Was war der erste Gedanke, als man Sie darum gebeten hat?

Das ist eine sehr schöne Aufgabe. Zum einen, weil das Hilfetelefon eine sehr wichtige Arbeit leistet, die ich gerne unterstütze. Zum anderen ist das Format für mich spannend. Ich arbeite sonst ja als Journalistin und schreibe Sachbücher. Da ist eine fiktive Geschichte eine Herausforderung ganz anderer Art, der ich mich gerne gewidmet habe.
 

Sind Sie vor dieser Kurzgeschichte schon einmal mit Gewalt gegen Frauen konfrontiert gewesen?

Nicht direkt in meinem persönlichen Umfeld. Aber ich habe mich in den vergangenen zwei bis drei Jahren immer wieder mit dem Thema beschäftigt. Je mehr man darüber erfährt, desto stärker wird einem bewusst, dass Gewalt gegen Frauen leider überall vorkommt. Sie kann von einem gut situierten Professor genauso ausgehen wie von sonst jemandem. Es ist kein Randphänomen gesellschaftlicher Minderheiten. Besonders erschreckend finde ich, wie oft Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet werden.
 

Sie haben im Rahmen Ihrer Recherche Einblicke in die Arbeit des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen" erhalten. Wie war Ihr Eindruck?

Dass die Arbeit der Beraterinnen sehr viel Respekt verdient. Für die Betroffenen ist es ja meist unsagbar schwer, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Es gehört sehr viel Einfühlungsvermögen dazu, sie dazu zu bewegen, sich zu öffnen. Und das ist nur der erste Schritt auf dem Weg, sich aus der Gewalt zu befreien. In Fällen von häuslicher Gewalt trennen sich viele Betroffene zunächst von ihrem gewalttätigen Partner. Dann kommt es zu einer Versöhnung. Später folgen wieder Gewaltausbrüche und erneute Trennungsversuche. Die Frauen schämen sich für das Geschehene und viele haben das Gefühl, selbst mit schuld daran zu sein. Da ist es sehr wichtig, dass es professionelle Hilfe gibt, an die sich die Frauen jederzeit vertraulich wenden können.
 

Haben Sie auch Überraschendes erfahren?

Eine Beraterin, mit der ich gesprochen habe, erzählte mir, wie oft sich Menschen aus dem Umfeld Betroffener melden, zum Beispiel Vorgesetzte. Sie merken, dass ihre Mitarbeiterin psychisch belastet ist und haben den Verdacht, dass Gewalterfahrungen der Grund sein könnten. Sie wenden sich an das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen", um sich beraten zu lassen wie sie darauf reagieren sollen. Mir war nicht bewusst, dass das offenbar recht häufig vorkommt. Das hat mich positiv überrascht. 
 

Die Kurzgeschichte sollte aus Perspektive des sozialen Umfelds von betroffenen Frauen geschrieben werden. Vor welchen Herausforderungen steht Ihre Protagonistin?

Auch für diejenigen, die helfen wollen, ist das ja eine sehr schwierige Situation. Erstmal muss die Gewalt ja als solche erkannt werden. Es ist ja nicht immer so, dass die Betroffene ein blaues Auge oder andere sichtbare Verletzungen hat. Dann ist es häufig auch so, dass die betroffene Frau das Verhalten des Partners entschuldigt und gar nicht fähig ist, sich selbst ihre Lage einzugestehen. Das macht es dann selbst für eine einfühlsame Freundin sehr schwer, zu helfen. Eine professionelle Beratung kann dann sehr nützlich sein.
 

Sie haben 2014 das Buch "Stand Up. Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene" veröffentlicht, das 2019 mit dem Untertitel "Feminismus für alle" neu erschienen ist. Sie haben darin die Frage, ob wir noch Feminismus brauchen, wenn eine Frau Kanzlerin werden kann, mit einem deutlichen "Ja!" beantwortet. Warum?

Wir sind von echter Gleichberechtigung noch meilenweit entfernt. Zwar bekommt das Thema Sexismus heute mehr Öffentlichkeit als früher, zum Beispiel durch Initiativen wie #aufschrei oder #metoo. Aber es reicht nicht, wenn wir nur darüber reden oder schreiben. Im Alltag erleben Frauen noch immer viel Ungerechtigkeit. Nehmen Sie zum Beispiel die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern oder die Tatsache, dass Frauen in Führungspositionen immer noch unterrepräsentiert sind. Nicht zuletzt zeigt die alltägliche Gewalt gegen Frauen, dass wir auch heute noch gegen Ungerechtigkeit kämpfen müssen. Mit meinem Buch will ich Menschen für das Thema sensibilisieren, gerade auch Frauen meiner Generation, die sich dessen nicht immer bewusst sind.
 

Was kann Literatur gegen Gewalt ausrichten?

Was ich schreibe, kann sicher keine Gewalttat verhindern. Aber Literatur kann aufklären, Denkanstöße geben. Im besten Fall öffnet sie Räume im Kopf. Eine literarische Geschichte hat eine ganz andere Wirkung als ein Zeitungsartikel. Sie lädt viel stärker dazu ein, sich selber mit den darin beschriebenen Figuren auseinander zu setzen oder sich mit ihnen zu identifizieren. Da ich mich mit der Kurzgeschichte erstmals an dieses Genre wage, bin ich auch selbst gespannt auf die Reaktionen, die meine Geschichte auslösen wird.
 

Von welcher Autorin oder welchem Autor würden Sie gerne eine Kurzgeschichte lesen, die sich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen auseinandersetzt?

Von Margaret Atwood. Weil ich einfach alles von ihr gerne lese und sie auf einzigartige Weise über die Vielfalt weiblicher Erfahrung schreibt.

Hier gelangen Sie zur Kurzgeschichte

Julia Korbik (32) ist freie Journalistin und Autorin in Berlin. Sie schreibt über Politik, (Pop) Kultur, Feminismus und Alltag. Ihre Texte sind unter anderem bei ze.tt, Vice Broadly, Libertine, This is Jane Wayne, Intro, fluter, Junge Welt, Cosmopolitan und im Tagesspiegel erschienen. Im November 2018 wurde Julia Korbik mit dem Luise-Büchner-Preis für Publizistik ausgezeichnet. Weitere Informationen finden Sie unter www.juliakorbik.com

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