Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

04.02.2016

Unterstützung für Frauen im  Flüchtlingskontext – "Im Zugang zu Informationen liegt eine der größten Hürden für geflüchtete Frauen"

Poster im Wartebereich der Asylberatung, Flyer beim Offenen Treff oder im Frauenzentrum – fast täglich erreichen das Hilfetelefon Anfragen von Fachkräften im Flüchtlingskontext. Sie alle haben ein Ziel: Geflüchtete Frauen mit Informationsmaterialien auf das Beratungsangebot des Hilfetelefons aufmerksam machen. Denn geschlechtsspezifische Gewalt ist in vielen Flüchtlingsunterkünften ein fast tägliches Problem. Ohne die aufmerksamen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wüssten viele nicht, wohin sie sich wenden können.

Eva Lutter ist eine dieser engagierten Flüchtlingshelferinnen. Seit zwei Jahren arbeitet sie für die Caritas in der Erstaufnahmeeinrichtung in Friedland, einer Gemeinde im Süden Niedersachsens. Die Zahl der hier untergebrachten Personen schwankt täglich. Aktuell sind es rund 1.000 Frauen, Männer und Kinder aus Afghanistan, Eritrea, Irak oder auch Syrien.
 
Lutter, die Soziale Arbeit in Kassel studiert hat und heute in Göttingen lebt, berät dort Flüchtlinge zum Asylverfahren und in Fragen der Migration. "Ich bin sehr beeindruckt von dem, was Menschen auf sich nehmen, um zu uns nach Deutschland zu kommen", sagt die 30-Jährige. Die Begegnung mit so vielen unterschiedlichen Menschen sei immer wieder spannend. "Und wir lachen auch viel." Die ausgebildete Veranstaltungskauffrau war zuvor im Kulturbereich tätig, unter anderem für das Goethe Institut in Ghana, bis sie sich vor ein paar Jahren dazu entschied, sich beruflich zu verändern.
 
Besonders berühren Lutter in ihrer Beratungstätigkeit die Gespräche mit sogenannten besonders schutzbedürftigen Personen – traumatisierte Frauen und Männer, allein reisende Frauen, alleinerziehende Mütter und Väter, unbegleitete Minderjährige sowie homosexuelle Muslime. "Die meisten von ihnen haben große Schicksalsschläge in der Vergangenheit oder Gegenwart erlebt, sie wünschen sich unsere Unterstützung oder einfach nur einen Gesprächspartner." Fragen zu beantworten und ihnen häufig auch ihre Ängste zu nehmen, motiviere sie.  

 

Angst vor Übergriffen groß

Von den Geflüchteten, die in Friedland ankommen, seien nur etwa 20 Prozent Frauen, erzählt Lutter weiter. Zusammen mit der Inneren Mission habe die Caritas ein Frauenzentrum auf dem Gelände aufgebaut, für Sprachkurse und Freizeitangebote, aber auch als Ort der Begegnung und des Rückzugs. Bis zu 40 Frauen nutzen das Zentrum täglich.
 
Als im vergangenen Sommer die Erstaufnahme mit 4.000 Flüchtlingen aus allen Nähten platzte,  übernachteten Frauen wie Männer an jedem erdenklichen Ort der Landesaufnahmebehörde: in der Kantine, in Schulungsräumen, sogar in Zelten auf den Fluren der Verwaltungsgebäude. Die Angst der Frauen vor Übergriffen war groß. "Einige Frauen schoben vor dem Schlafengehen Möbel vor ihre Zimmertüren", so Lutter. Inzwischen habe sich die Lage wieder beruhigt. Allein reisende Frauen wohnten jetzt meist zusammen mit anderen alleinstehenden Frauen und deren Kindern in Mehrbettzimmern und Containern. Möglicherweise habe sich das Problem von geflüchteten Frauen damit nun in die vielen neuen und improvisierten Notunterkünfte verlagert. So genau wisse sie das nicht.

 

Persönlicher Kontakt wichtig

In den Gesprächen im Frauenzentrum und in der Asylberatung berichten die Frauen auch von Häuslicher Gewalt. "Dies geschieht allerdings nicht so häufig", fügt Lutter hinzu, und sei immer auch eine Frage der zwischenmenschlichen Beziehung: "Gelingt es Vertrauen aufzubauen, ist es umso wahrscheinlicher, dass sich die Frau öffnet." Manche Frauen scheuten sich davor, ihre gewalttätigen Männer zu verlassen, da sie sich das Leben im für sie unbekannten Deutschland nicht alleine zutrauten, insbesondere wenn sie Kinder hätten. Viele Faktoren kämen hier zusammen, erklärt die Sozialarbeiterin: fehlende Informationen über Ansprechpersonen, das meist sehr individuelle Erleben und Bewerten von Gewalterfahrungen, Traumatisierungen sowie Unsicherheiten über die weiteren Schritte in Deutschland. "Eine Frau erzählte mir, dass sie Angst hat, ihren Mann zu verlassen, weil sie befürchtet, dass sich dies negativ auf ihr Asylverfahren auswirken könnte. Ich erklärte ihr, dass das in ihrem Fall nicht so sei und konnte sie dadurch ein wenig beruhigen."

Direkt auf Angebot hinweisen

"Geflüchtete stehen vor einer Vielzahl an Herausforderungen, wenn sie hier ankommen, die größte Hürde liegt aber im Zugang zu Informationen", so Lutter. Die Asylsuchenden würden bei den Registrierungen und Zuweisungen in die Flüchtlingsunterkünfte zunächst mit der deutschen Bürokratie konfrontiert und dabei nur unzureichend über ihre Rechte und spezielle Angebote unterrichtet. "In unser Frauenzentrum und zur Asylberatung kommen die Frauen fast ausschließlich durch Hinweise von Freunden und Bekannten, anstatt dass sie an zentraler Stelle darüber informiert werden." Hier sieht Lutter noch viel Handlungsbedarf.
 
"Es ist uns daher wichtig, präventiv auf Beratungsangebote wie das Hilfetelefon und die anderer Organisationen hinzuweisen." Die Flyer und Plakate des Hilfetelefons befänden sich gut sichtbar in allen Einrichtungen der Caritas in der vom Land betriebenen Aufnahmestelle für Flüchtlinge – im Frauenzentrum, im Jugendclub und in den Räumen der Asylberatung. "Ich erlebe immer wieder, dass Frauen die Flyer interessiert mitnehmen." Und sie sieht auch positive Veränderungen: Die Zusammenarbeit mit den Behörden vor Ort sei ausgesprochen gut. Diese würden immer häufiger auf die Angebote der Caritas und die anderer Hilfseinrichtungen hinweisen, betont Lutter zufrieden.

 

Mehrsprachiges Angebot des Hilfetelefons

Das Hilfetelefon steht selbstverständlich auch geflüchteten Frauen mit Gewalterfahrungen als wichtige Erstanlaufstelle zur Verfügung: Betroffene erhalten zu allen Gewaltformen Erstberatung und Information und werden auf Wunsch an eine Unterstützungseinrichtung vor Ort weitervermittelt. Mit seinem mehrsprachigen Beratungsangebot verfügt das Hilfetelefon über eine Besonderheit, die gerade für Flüchtlingsfrauen von Bedeutung ist. Die Möglichkeit, innerhalb einer Minute rund um die Uhr eine Dolmetscherin für 15 Sprachen zu den Telefonberatungen hinzuzuschalten, ist bislang einmalig in der Beratungslandschaft.
 
Mit Informationsmaterialien in 15 Sprachen möchte das Hilfetelefon noch gezielter weibliche Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Flüchtlingsunterkünften sowie Frauen mit Migrationshintergrund erreichen.
 
Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ehrenamtliche Helferinnen und Helfer in Erstaufnahmeeinrichtungen können sich melden, wenn ihnen in ihrer täglichen Arbeit Fälle von Gewalt gegen Frauen begegnen. Viele fühlen sich mit der Thematik überfordert, haben keine Handlungssicherheit, da Interventionskonzepte fehlen.

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