05.04.2022
„Gewalt gegen Frauen wird nur dann in den Medien aufgegriffen, wenn sie eine besonders brutale Form annimmt und etwa mit dem Tod des Opfers endet“, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Christine E. Meltzer von der Universität Mainz. Sie ist die Autorin der von der Otto Brenner Stiftung geförderten Studie „Tragische Einzelfälle? Wie Medien über Gewalt gegen Frauen berichten“. Von 2015 bis 2019 hat sie systematisch rund 3.500 Beiträge in bundesweiten Medien ausgewertet. Dabei analysierte sie die Darstellung von Gewalt an Frauen in insgesamt 17 regionalen bzw. überregionalen Tageszeitungen und Boulevardzeitungen.
Im untersuchten Zeitraum erschienen monatlich rund 20 Artikel, in denen über Gewalt gegen Frauen berichtet wurde. Über alltäglich stattfindende Gewaltformen wie Körperverletzung, Stalking, Nötigung oder Straftaten gegen die persönliche Freiheit wurde unterproportional berichtet: Sie nehmen lediglich rund 18 Prozent der Berichterstattung ein. Und nicht einmal jeder vierte Artikel handelt von Partnerschaftsgewalt – obwohl diese laut der Studie mit zwei Dritteln die häufigste Gewaltform an Frauen darstellt.
Medien haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie Gewalt gegen Frauen wahrgenommen und vor allem wie damit umgegangen wird. Wenn aber die häufige Partnerschaftsgewalt medial unterproportional beleuchtet und Tötungsdelikte mit rund 70 Prozent der Artikel gleichzeitig überbetont werden, gerät die gesellschaftlich Wahrnehmung in eine Schieflage. Dazu kommt, dass brutale Gewalttaten laut Meltzer durch Bezeichnungen wie Beziehungsdrama, Eifersuchtstat oder Tragödie als Einzelfälle verharmlost würden.
Meltzer erklärt: „Offensichtlich ist Gewalt gegen Frauen und vor allem Gewalt in intimen Beziehungen in Deutschland nach wie vor ein gesellschaftliches Tabu.“ Diese Einschätzung betreffe auch Medienschaffende. Die Folge: Die Wahrnehmung von Gewalt an Frauen liegt vor allem beim Einzeltäter, mitunter wird sogar dem Opfer Schuld zugeschrieben. Wichtig wäre jedoch, in stärkerem Maße die strukturelle Problematik in unserer Gesellschaft zu beleuchten, damit gewaltbetroffene Frauen wissen, dass sie nicht allein sind.
Medienschaffende können durch eine angemessene und sorgfältige Berichterstattung dazu beitragen, die Gesellschaft zu sensibilisieren, damit Mädchen und Frauen besser vor Gewalt geschützt werden. „Es ist ganz einfach“, fasst Meltzer zusammen. „Wir müssen weg von Einzelfallbeschreibungen, wir müssen die Größenordnung von Gewalt an Frauen in den Artikeln jeweils einordnen und wir müssen auf konkrete Unterstützungsangebote aufmerksam machen – etwa das bundesweite Hilfetelefon ‚Gewalt gegen Frauen‘, damit jede Frau die Nummer kennt!“
Tatsächlich bringt auch die Darstellung geschlechtsspezifischer Gewalt im deutschen Fernsehen ähnliche Problematiken auf den Tisch. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Geschlechtsspezifische Gewalt im deutschen Fernsehen. Eine Medieninhaltsanalyse“, die von der MaLisa Stiftung und die UFA GmbH initiiert und gefördert wurde. Dazu wurde im Jahr 2020 eine repräsentative Stichprobe der Abendprogramme von acht TV-Sendern analysiert. Es zeigt sich, dass schwere Gewalt insbesondere gegen Frauen und Kinder dargestellt wird, die Perspektive der Betroffenen jedoch nur selten im Zentrum der Erzählung steht. Auch die strukturelle Dimension geschlechtsspezifischer Gewalt in unserer Gesellschaft sowie Präventionsmöglichkeiten und Hilfsangebote seien laut der Studie kaum sichtbar, sodass auch hier deutlicher Handlungsbedarf bestehe.
Zur Studie „Tragische Einzelfälle? Wie Medien über Gewalt gegen Frauen berichten“: www.otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsportal/informationsseiten-zu-studien-2021/tragische-einzelfaelle/
Zur MaLisa Stiftung: www.malisastiftung.org/studie_geschlechtsspezifische-gewalt-im-deutschen-fernsehen/